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werden? Wer hat Gott eine Wohltat gespendet,
so daß er sie vergelten müßte? Wie ließe sich die
Haltung der Verträge durch die göttliche Gerech-
tigkeit und das Verbot des Totschlags aus der
göttlichen Heiligkeit begründen? Ein dem gött-
lichen Willen vorausgehendes ewiges Gesetz als
Quelle des Naturgesetzes ist ein bloßes fgmen-
tum scholasticorum (diss. prooemialis § 6.
1 1, 31; 12, 7;14, 22/28). Das ins Herz
geschriebene Naturgesetz stammt inhaltlich aus der
endlichen Natur, insbesondere geselligen Natur des
Menschen und seiner Verpflichtung nach aus dem
göttlichen Willen. Wie die Natur des Menschen,
so ist auch das Naturrecht seinem allgemeinen In-
halt nach unveränderlich; die Handlungen, welche
dessen Objekt bilden, sind gut von Natur aus,
aber erst durch Gottes Willen erlangen sie ver-
pflichtende Kraft, also eigentlichen Gesetzescharakter,
was sowohl die Scholastiker als Hugo Grotius ver-
kannt haben (I 1, 28. 136; 12, 74/98). Als
erstes praktisches Prinzip stellt sonach Thomasius
auf: Imperanti para, gehorche Gott, der all
unserer Verpflichtung Quelle ist, und dem, welcher
wahrhaft in seinem Namen befiehlt! (1 3, 34 ff.)
Dieses Prinzip ist inhaltsleer; denn es fragt sich
weiter: was Gott befehle Die Antwort geht da-
hin: Da Gott die vernünftige Natur des Men-
schen schuf, wollte er all das befehlen und schrieb
all das in die Herzen hinein, was mit der ver-
nünftigen Natur des Menschen übereinstimmt.
Das erste naturrechtliche Gebot, worunter alle
andern naturrechtlichen Gebote begriffen sind,
lautet somit also: „Tue das, was mit der ver-
nünftigen Natur des Menschen übereinstimmt"“
(12, 72. 97; 1 4, 2/7). Da die vernünftige
Natur des Menschen jedoch nur in der Gesellschaft
sich entwickeln und zeitlicher Glückseligkeit teilhaft
werden kann, so ist dieses Gebot noch bestimmter
dahin zu präzisieren: „Tue das, was mit der ge-
selligen Natur des Menschen übereinstimmt"
(I 4, 54/64). Aus diesem Gebot ergeben sich
dann im besondern die Pflichten gegen Gott,
gegen sich selber und gegen andere. Die Pflichten
gegen andere bestehen in der Achtung der an-
gebornen Rechte derselben, in der Förderung ihres
Nutzens, solange Ungeteiltheit des Eigentums
(communio bonorum negativa) statthatte oder
statthat, der Achtung des durch Okkupation er-
worbenen Eigentums sowie Haltung der Verträge
(II 2/10). Besondere Pflichten und Rechte gegen-
über andern erwachsen ferner daraus, daß der
Mensch nicht bloß ein Glied der menschlichen Ge-
sellschaft im allgemeinen ist, sondern auch ein
Glied verschiedener besonderer Gesellschaften, die
von Natur aus bestimmte Zwecke zu erfüllen haben,
wie z. B. die Ehe, die Familie, das Haus, die
Gemeinde, die Provinz, der Staat, die Völker-
gemeinschaft. Entweder sind sie natürliche Gesell-
schaften insofern, als sie von Natur wegen bestehen,
ohne alle Mitwirkung des Willens, wie z. B. die
allgemeine Völkergemeinschaft, oder sie sind solche
Thomasius.
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insofern, als eine vernünftige Neigung den Willen
zu ihrer Begründung antreibt, wie z. B. die Ehe,
der Staat, bestimmte Völkerbünde usw. Im
letzteren Fall kommt ihre wirkliche Konstituierung
durch freien Vertrag zustande (III 1, 1/41; III6,
7/13). Die Konstituierung des Staats erfordert
nach Thomasius sogar einen Doppelvertrag wie
nach Pufendorf, nämlich einen Vereinigungs-
vertrag, verbunden mit dem Beschluß einer be-
stimmten Regierungsform, und einen Unter-
werfungsvertrag, wodurch der oberste Machthaber
oder die obersten Machthaber bestimmt werden,
deren Zwangsgewalt die Bürger unterstellt sein
sollen (III6,29/31).Die Souveränität(maiestas)
wird nicht unmittelbar, sondern mittelbar von Gott
übertragen. Ist die Zustimmung des Volks zur
rechtmäßigen Erwerbung derselben auch erforder-
lich, so können doch die Arten und Weisen, jene
Zustimmung herbeizuführen, sehr verschiedene sein:
völlig freie Entschließung, gerechte, ja selbst un-
gerechte Gewaltmaßregeln usw. (III 6, 66/92).
Nach Thomasius ist all diesem zufolge nicht der
Vertrag und noch weniger der Staatsvertrag
Quelle allen Rechts. Jeder Vertrag setzt die Ver-
pflichtung voraus, ihn zu halten; diese Verpflich-
tung wurzelt aber im göttlichen Willen (I 1, 29.
136). Ferner gibt es natürliche, angeborne Rechte,
welche der Mensch unmittelbar von Gott hat,
ohne freie Zustimmung. Dahin gehört insbeson-
dere das Recht, durch Okkupation Eigentum zu
erwerben; letzteres ist nicht durchgehends und
schlechthin auf dem Vertragsweg entstanden, wie
Pufendorf meinte, obgleich es vielfach so ent-
standen sein mag, um eine feste Ordnung herbei-
zuführen oder Streitigkeiten vorzubeugen (1 1.
114; II 10, 101/103). Endlich gibt es auch
natürliche Gesellschaften mit Rechten und Pflichten
vor allem Vertrag und in manchen derselben —
in denen nämlich, die aus ungleichen Gliedern be-
stehen — sogar eine Herrschaft, die nicht aus dem
Vertrag stammt (III 1, 59/64).
Während Thomasius in diesem seinem ersten
Hauptwerk die Rechte und Pflichten auf dar-
gelegte Weise aus dem Trieb der Geselligkeit ab-
zuleiten versuchte, als der Bedingung der irdischen
Glückseligkeit (I 4, 57), will er in seinem zweiten,
gereisteren, von Locke beeinflußten Hauptwerk
Fundamenta iuris naturalis etgen-
tium Rechte und Pflichten geradezu aus dem
Trieb nach Glückseligkeit ableiten und nicht mehr
aus dem Trieb der Geselligkeit, weil aus diesem
letzteren die Pflichten gegen sich selbst und die
eigentlichen sittlichen Vorschriften (praecepta
honesti) nicht klar abgeleitet werden können und
die Vorschriften des Gerechten und Wohlanstän-
digen (praecepta jiusti et decori) gar nicht oder
wenigstens nicht genau unterschieden werden
(Fund. 1 6, 19). Hiermit ist schon ein zweiter,
ebenso bedeutender Schritt bezeichnet, welchen er,
über Pufendorf hinausgehend, nunmehr unter-
nommen hatte, nämlich die Scheidung der Natur-
15.