Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

10 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
und abgeschmackt, wie das Schwert Karl's des Großen, das den böhmischen 
Löwen auf der Klinge trug, oder wie die Chorknaben von St. Bartholomäi, 
die durch ihr hellstimmiges fiat! vom hohen Chor herab im Namen der 
deutschen Nation die Erwählung des Weltherrschers genehmigten. 
Die Umbildung des altgermanischen Wahlkönigthums zur erblichen 
Monarchie hat den meisten Völkern Westeuropas die Staatseinheit ge- 
sichert. Deutschland aber blieb ein Wahlreich, und die dreihundert- 
jährige Verbindung seiner Krone mit dem Hause Oesterreich erweckte nur 
neue Kräfte des Zerfalles und des Unfriedens, denn das Kaiserthum der 
Habsburger war unserem Volke eine Fremdherrschaft. Abgetrennt von 
der Mitte Deutschlands durch das starke Slavenreich in Böhmen, hatte 
die alte deutsche Südostmark schon früh im Mittelalter ihres eigenen 
Weges gehen und sich einleben müssen in die verschlungene Politik des 
ungarisch-slavisch= walachischen Völkergemisches der unteren Donaulande. 
Sie wurde sodann durch das Haus Habsburg zum Kernlande eines 
mächtigen vielsprachigen Reiches erhoben, durch falsche und echte Privi- 
legien aller ernstlichen Pflichten gegen das deutsche Reich entbunden und 
erlangte bereits im sechzehnten Jahrhundert eine so wohlgesicherte 
Selbständigkeit, daß die Habsburger sich mit dem Plane tragen konnten 
ihre deutschen Erblande zu einem Königreich Oesterreich zu vereinigen. 
Mitten im Gewimmel fremden Volksthums bewahrten die tapferen 
Stämme der Alpen und des Donauthales getreulich ihre deutsche Art; 
sie nahmen mit ihrer frischen herzhaften Sinnlichkeit rühmlich Theil an 
dem geistigen Schaffen unseres Mittelalters. An dem lebensfrohen 
Hofe der Babenberger blühte die ritterliche Kunst; der größte Dichter 
unserer Staufertage war ein Sohn der Tyroler Alpen; die prächtigen 
Hallen von St. Stephan und St. Marien am Stiegen erzählten von 
dem Stolze und dem Kunstfleiß des deutschen Bürgerthums in Nieder- 
österreich. Alsdann wandte sich auch hier der deutsche Geist in freudigem 
Erwachen der evangelischen Lehre zu; in Böhmen wurde das Hussitenthum 
wieder lebendig, und am Ausgang des Jahrhunderts der Reformation 
war der größte Theil der deutsch-österreichischen Kronländer dem Glauben 
unseres Volkes gewonnen. Da führte der Glaubenseifer des Kaiserhauses 
alle Schrecken des Völkermordes über Oesterreich herauf. Unter blutigen 
Gräueln ward die Herrschaft der römischen Kirche durch die kaiserlichen 
Seligmacher wieder aufgerichtet. Was deutschen Sinnes war und dem 
fremden Joche sich nicht beugte, Hunderttausende der Besten vom böh- 
mischen Volke fanden eine neue Heimath in den Landen der evangelischen 
Reichsfürsten. Die daheim geblieben, verloren in der Schule der Jesuiten 
die Lebenskraft des deutschen Geistes: den Muth des Gewissens, den 
sittlichen Idealismus. Kirchlicher Druck zerstört die tiefsten Wurzeln des. 
Volkslebens. Der helle Frohmuth des österreichischen Deutschthums ver- 
flachte in gedankenloser Genußsucht, das leichtlebige Volk gewöhnte sich
	        
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