Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Das neue Oesterreich. 13 
regiert, die alte ständische Verwaltung schleppt sich gemächlich dahin in 
ihren verlebten Formen. Niemand denkt an die Ausbildung einer ge— 
ordneten Regierungsgewalt, an die Pflege des Wohlstandes und der 
Bildung, an alle jene unscheinbar großen Aufgaben der inneren Politik, 
welche einem gesunden weltlichen Staate den besten Inhalt des Lebens 
bilden. Jahrhunderte lang hat die Geschichte Oesterreichs neben zahl— 
reichen fähigen Feldherren und Diplomaten kein einziges Talent der Ver— 
waltung aufzuweisen. Erst unter Maria Theresia entsinnt sich die Krone 
wieder der nächsten Pflichten der Monarchie. 
Indessen zeigte jene staatenbildende Kraft der neuen Geschichte, die 
überall zur festen Abrundung der Staatsgebiete drängte, auch in dem 
bunten Ländergemisch der habsburg-burgundischen Erbschaft ihre Wirk— 
samkeit. Unter Leopold I. wird Ungarn erobert, die Stephanskrone erb— 
lich dem Hause Oesterreich übertragen. Damit beginnt die Geschichte der 
neuen österreichischen Großmacht, wie gleichzeitig mit dem Großen Kur— 
fürsten die neue deutsche Geschichte. Der Hausbesitz der Habsburger wird 
zur geographischen Einheit; das Donaureich findet den Schwerpunkt seiner 
militärischen Macht in Ungarns kriegerischen Völkern. Starke wirth- 
schaftliche und politische Interessen verbinden fortan die deutschen Erb- 
lande mit dem Völkergewimmel jener subgermanischen Welt, wo das 
Deutschthum nur mühsam ein geistiges Uebergewicht behauptet; im Ver- 
laufe der langen ruhmvollen Türkenkriege entsteht unter den deutschen, 
ungarischen und slavischen Kampfgenossen ein Bewußtsein der Gemeinschaft. 
Durch die Eroberung Ungarns wurde vollendet, was die Politik der 
Gegenreformation begonnen hatte: die Trennung Oesterreichs von Deutsch- 
land. So lange die Paschas der Osmanen auf der Königsburg von 
Ofen hausten, führte Oesterreich den Markmannenkrieg für die deutsche 
Gesittung gegen die Barbarei des Ostens; nur mit Deutschlands Hilfe, 
durch das gute Schwert der Märker, der Sachsen, der Baiern gelang 
die Vertreibung der Türken aus Ungarn. Seit die Pforte in Schwäche 
versank, zerriß auch dies letzte Band gemeinsamer Gefahr, das unsere 
Nation noch an das Kaiserthum gekettet hatte. Deutschland und Oester- 
reich waren nunmehr zwei selbständige Reiche, allein durch die Formen 
des Staatsrechts künstlich verbunden; die Zerstörung dieser unwahren 
Formen blieb für lange Jahrzehnte die große Aufgabe der deutschen Ge- 
schichte. 
Schritt für Schritt befestigte sich seitdem die Staatseinheit des neuen 
Oesterreichs. Die Pragmatische Sanction verkündete die Untheilbarkeit 
des kaiserlichen Hausbesitzes. Darauf gab der größte Herrscher des Habs- 
burgerstammes den Erblanden, die bisher nur durch das Kaiserhaus, den 
Clerus, den Adel und das Heer verbunden gewesen, eine nothdürftige 
gemeinsame Verfassung. Maria Theresia begründete das System des 
österreichisch-ungarischen Dualismus. Sie stellte die böhmisch-österreichische
	        
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