Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die kaiserliche Partei. 15 
die vorderösterreichischen Besitzungen am Rheine mit den Kernlanden der 
Monarchie zu verbinden; seit Karl VI. nimmt sie auch die italienische 
Politik der spanischen Habsburger wieder auf und strebt jenseits der 
Alpen die Oberhand zu behaupten; dazwischen hinein spielen in raschem 
Wechsel kecke Anschläge gegen Polen und die Osmanen: — ein Uebermaß 
unsteter Herrschsucht, das den mächtigen Staat von einer Niederlage zur 
andern führt. 
Also stand die kaiserliche Macht der protestantisch-deutschen Bildung 
feindselig, den europäischen Aufgaben der deutschen Politik gleichgiltig, den 
Handelsinteressen unserer Küsten mit binnenländischer Beschränktheit gegen— 
über. Die Habsburg-Lothringer konnten in den unklaren Befugnissen 
des Kaiserthums nur ein willkommenes Mittel sehen um die gewaltige 
kriegerische Kraft deutscher Nation auszubeuten für die Zwecke des Hauses 
Oesterreich, die Machtfragen dieser Hauspolitik zu entscheiden durch den 
Mißbrauch der Formen des Reichsrechts. Die altehrwürdige kaiserliche 
Gerichtsbarkeit ward ein Tummelplatz für rabulistische Künste, Deutsch- 
lands auswärtige Politik ein unberechenbares Spiel. Das Reich, von 
der Hofburg bald fremden Angriffen preisgegeben, bald in undeutsche 
Händel hineingezogen, mußte regelmäßig den Preis für Oesterreichs Nieder- 
lagen zahlen. Holland und die Schweiz, Schleswig-Holstein, Pommern 
und das Ordensland, Elsaß und Lothringen gingen wesentlich durch die 
Schuld der Habsburger dem Reiche verloren: unersetzliche Verluste, minder 
schmachvoll für jene halbfremde Macht, welche die Kaiserpflicht mit den 
Interessen ihres Hauses nicht vereinigen konnte, als für die deutsche 
Nation, die nach solchem Unsegen der Fremdherrschaft nimmer den Willen 
fand das Löwenbündniß mit Oesterreich zu zerreißen. 
Das Kaiserthum wurzelte in einer überwundenen Vergangenheit und 
fand darum seinen natürlichen Gegner in dem erstarkenden weltlichen 
Fürstenthum, seine Anhänger unter den verfaulten und verkommenen 
Gliedern des Reichs. „Das stiftische Deutschland“ bildete den Kern der 
österreichischen Partei: jene reich gesegneten geistlichen Gebiete, die, durch 
die Siege der Gegenreformation der römischen Kirche zurückgegeben, nun- 
mehr unter der weichen Herrschaft des Krummstabs, im Behagen der 
Vetterschaft und der Sinnlichkeit ein bequemes Stillleben führten. Sie 
konnten, rings umklammert und durchschnitten von evangelischen Gebieten, 
dem Leben der Nation nicht so gänzlich entfremdet werden wie die kaiser- 
lichen Erblande; mancher milde und gelehrte Kirchenfürst kam den Ideen 
des Zeitalters der Aufklärung freudig entgegen. Doch die politische Lebens- 
kraft der geistlichen Staaten blieb unreitbar verloren, und der Gedanken- 
arbeit des neuen Jahrhunderts stand die Masse des Volkes in Köln, 
Mainz und Trier so fern, daß späterhin der Verlust des linken Rhein- 
ufers dem geistigen Leben Deutschlands eine kaum fühlbare Wunde schlug. 
Zum Kaiser hielt desgleichen der mächtige katholische Adel, der in seinen
	        
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