Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Stein's Ansicht vom Staate. 273 
losen, eigenthumslosen Buralisten, die, es regne oder scheine die Sonne, 
ihren Gehalt aus der Staatskasse erheben und schreiben, schreiben, schreiben. 
So in rüstigem Handeln, in lebendigem Verkehr mit allen Ständen 
des Volkes bildete er sich nach und nach eine selbständige Ansicht vom Wesen 
politischer Freiheit, die sich zu den demokratischen Doctrinen der Revolution 
verhielt wie die deutsche zur französischen Staatsgesinnung. Adam Smith's 
Lehre von der freien Bewegung der wirthschaftlichen Kräfte hatte schon dem 
Jüngling einen tiefen Eindruck hinterlassen; nur lag dem deutschen Frei— 
herrn nichts ferner, als jene Ueberschätzung der wirthschaftlichen Güter, 
worein die blinden Anhänger des Schotten verfielen, vielmehr bekannte er 
sich laut zu der fridericianischen Meinung, daß übermäßiger Reichthum 
das Verderben der Völker sei. Justus Möser's lebenswarme Erzählungen 
von der Bauernfreiheit der germanischen Urzeit ergriffen ihn lebhaft, das 
Studium der deutschen und der englischen Verfassungsgeschichte kam seiner 
politischen Bildung zu statten, und sicher hat die romantische Weltan— 
schauung des Zeitalters, die allgemeine Schwärmerei für die ungebrochene 
Kraft jugendlichen Volkslebens unbewußt auch auf ihn eingewirkt. Doch der 
eigentliche Quell seiner politischen Ueberzeugung war ein starker sittlicher 
Idealismus, der, mehr als der Freiherr selbst gestehen wollte, durch die 
harte Schule des preußischen Beamtendienstes gestählt worden war. 
Die Verwaltungsordnung des ersten Friedrich Wilhelm hatte einst das 
dem öffentlichen Leben ganz entfremdete Volk in den Dienst des Staates 
hineingezwungen. Stein erkannte, daß die also Erzogenen nunmehr fähig 
waren unter der Aufsicht des Staates die Geschäfte von Kreis und Ge— 
meinde selbst zu besorgen. Er wollte an die Stelle der verlebten alten 
Geburtsstände die Rechtsgleichheit der modernen bürgerlichen Gesellschaft 
setzen, aber nicht die unterschiedslose Masse souveräner Einzelmenschen, 
sondern eine neue gerechtere Gliederung der Gesellschaft, die den „Eigen— 
thümern“, den Wohlhabenden und vornehmlich den Grundbesitzern, die 
Last des communalen Ehrendienstes auferlegte und ihnen dadurch erhöhte 
Macht gäbe — eine junge auf dem Gedanken der politischen Pflicht ruhende 
Aristokratie. Er dachte die Revolution mit ihren eigenen Waffen zu be— 
kämpfen, den Streit der Stände auszugleichen, die Idee des Einheits— 
staates in der Verwaltungsordnung vollständig zu verwirklichen; doch mit 
der Thatkraft des Neuerers verband er eine tiefe Pietät für das historisch 
Gewordene, vor Allem für die Macht der Krone. Eine Verfassung bilden, 
sagte er oft, heißt das Gegenwärtige aus dem Vergangenen entwickeln. 
Er strebte von jenen künstlichen Zuständen der Bevormundung und des 
Zwanges, die sich einst aus dem Elend des dreißigjährigen Krieges heraus— 
gebildet hatten, wieder zurück zu den einfachen und freien Anschauungen 
der deutschen Altvordern, denen der Waffendienst als das Ehrenrecht jedes 
freien Mannes, die Sorge für den Haushalt der Gemeinde als die natür— 
liche Aufgabe des Bürgers und des Bauern erschien. Dem begehrlichen 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 18
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.