Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

284 I. 3. Preußens Erhebung. 
preußen in's Leben; überall sonst zeigten die Landstände geringe Neigung 
die Tagegelder für die Notabeln aufzubringen. Die ostpreußischen Re- 
präsentanten fühlten sich bald sehr einsam unter der Ueberzahl ihrer 
bureaukratischen Amtsgenossen, sie standen wie Dilettanten unter Fach- 
männern; die vom Lande wollten nicht so lange im Bureau aushalten; 
die Tagegelder blieben aus, der Eifer erkaltete rasch, und im Jahre 1812 
wurde der verunglückte Versuch aufgegeben.) Auch das neue Amt der 
Oberpräsidenten bewährte sich vorerst nur wenig. Während das revolu- 
tionäre Frankreich seine alten Provinzen in ohnmächtige Departements 
zerschlug, wollte Stein, in bewußtem Gegensatze, die schwachen Regierungs- 
bezirke zu großen lebensfähigen Provinzen vereinigen. Drei Oberpräsi- 
denten, für Schlesien, für die altpreußischen, für die märkisch-pommerschen 
Lande, erhielten die Oberaufsicht über die Regierungen, nicht als eine 
Zwischeninstanz, sondern als ständige Commissare des Ministeriums und 
als Vertreter der gemeinsamen Interessen ihrer Provinz. Die Institution 
war offenbar auf die weiten Verhältnisse eines Großstaates berechnet. In 
der Enge der verkleinerten Monarchie bewirkte sie nur die Erschwerung 
der Geschäfte, und erst nach der Wiederherstellung der preußischen Groß- 
macht hat sie sich als segensreich erwiesen. 
Stein's sociale Reformen und die Befestigung der Staatseinheit gingen 
hervor aus der selbständigen, eigenthümlichen Durchbildung von Gedanken, 
welche seit dem Ausbruche der Revolution in der Luft lagen und allen 
hellen Köpfen des preußischen Beamtenthums als ein Gemeingut ange- 
hörten. Eine durchaus schöpferische That, das freie Werk seines Genius, 
war dagegen die Städte-Ordnung vom 19. November 1808.5) Als die 
letzte und höchste Aufgabe seines politischen Wirkens erschien ihm die Er- 
hebung der Nation aus der dumpfen Enge ihres häuslichen Lebens; er 
sah sie in Gefahr, der Sinnlichkeit zu verfallen oder den speculativen 
Wissenschaften einen übertriebenen Werth beizulegen, und wollte sie er- 
ziehen zu gemeinnütziger Thätigkeit, zu kräftigem Handeln. Ein glück- 
licher praktischer Blick hieß ihn sein Werk bei den Städten beginnen. 
Erst wenn unter der gebildeten städtischen Bevölkerung wieder ein selb- 
ständiges Gemeindeleben erwacht war, konnten den rohen, soeben erst der 
Erbunterthänigkeit entwachsenen Bauern, die ihren Grundherren noch voll 
Grolles gegenüberstanden, die Rechte und Pflichten der Selbstverwaltung 
auferlegt werden. An der Ausarbeitung des Gesetzes hatte Wilckens 
den größten Antheil. Die Städte erhielten die selbständige Verwaltung 
ihres Haushalts, ihres Armen= und Schulwesens und sollten auf Ver- 
  
*) Bericht des Ministers von Schuckmann an den König, 24. Mai 1812. 
**) Stein hat die Städte-Ordnung stets auf das Bestimmteste als sein Werk be- 
zeichnet. Daß sich in den Akten nur wenige Bemerkungen darüber von der eigenen Hand 
des Ministers befinden (E. Meier a. a. O. S. 147) erklärt sich leicht aus dem bureau- 
kratischen Geschäftsgange.
	        
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