366 I. 3. Preußens Erhebung.
der guten alten bourbonischen Zeit. Das Geld wollte zwischen seinen
Fingern niemals haften; ein großes Vermögen war rasch durchgebracht.
Bis in das höchste Alter verfolgten ihn ärgerliche häusliche Händel und
frivole Abenteuer mit schlechten Weibern. In seinem Auftreten lag gar
nichts von der überwältigenden Kraft und Großheit Stein's; doch er war
noch immer ein schöner Mann mit hellen, gütigen blauen Augen, mit einem
herzgewinnenden Lächeln um den geistreichen Mund — eine Erscheinung ver-
führerisch für jede Frau, anmuthig und gewandt in allen Bewegungen,
dabei immer heiter und harmlos witzig, ein Meister in der Kunst die Menschen
zu behandeln. Und diese bestrickende Liebenswürdigkeit kam wirklich aus
einem guten, menschenfreundlichen Herzen. Durchaus wahr schildert er ein-
mal sich selber in seinem Tagebuche: „ich seufze über meine Schwächen, aber
wenn sie Tadel verdienen, so tröste und erhebe ich mich an dem Gefühle des
Wohlwollens, das den Grund meines Charakters bildet.““") Einen Jeden
nahm er von der besten Seite, dem Könige trat er mit einer ehrfurchts-
vollen Zartheit entgegen, die dem gebeugten Monarchen in tiefster Seele wohl
that, und auch als mit den Jahren seine unglückliche Taubheit zunahm blieb
sein freundliches Herz ganz frei von dem natürlichen Fehler der Schwer-
hörigen, dem Mißtrauen. Wirklichen Haß hat er vielleicht nur gegen einen
Menschen gehegt, gegen Wilhelm Humboldt; der blieb ihm verdächtig, „falsch
wie Galgenholz,“ und niemals wollte er diesen sonderbaren Argwohn aufgeben,
der irgendwelche bisher unbekannte persönliche Gründe gehabt haben muß.
Die aristokratischen Vorurtheile seines hannoverschen Heimathlandes
berührten ihn wenig. Seinen Platz auf den Höhen der Gesellschaft nahm
er als ein selbstverständliches Recht in Anspruch, doch im täglichen Ver-
kehre liebte er eine plebejische Umgebung, worunter einzelne Talente, wie
Rother, aber noch mehr unwürdige Gesellen, die seine offene Hand miß-
brauchten; hier war er der Herr und konnte sich gehen lassen. Auch in
seinen politischen Ueberzeugungen verleugnete Hardenberg die Schule der
französischen Aufklärung nicht. Eine Nacht des vierten August für Preußen,
nicht durch die stürmischen Leidenschaften der Nation, sondern von oben
her durch den besonnenen Willen der Krone herbeigeführt — das war
von jeher sein Herzenswunsch. In dem neuen Königreich Westphalen
fand er sein Staatsideal nahezu verwirklicht, nur daß in Preußen Alles
gerechter und ehrlicher zugehen sollte. Der echt deutsche Grundgedanke
des Stein'schen Reformwerks, die Idee der Selbstverwaltung ließ ihn
immer kalt; ja er faßte mit den Jahren fast eine Abneigung dawider,
da er den erbitterten Gegnern seiner socialen Reformen, den märkischen
Junkern, die Fähigkeit zur Verwaltung des flachen Landes nicht zutraute.
Eine wohlgeordnete Bureaukratie, beschränkt und berathen durch eine nicht
allzu mächtige reichsständische Versammlung, sollte das freie Spiel der
entfesselten socialen Kräfte in Ordnung halten.
) Journal de Hardenberg, zum Jahresanfang 1810.