Zusammenkunft in Dresden. 395
nach Austerlitz und Friesland, nach der ersten verlorenen Schlacht das
Spiel verloren geben würde.
Das Volk dachte anders. Während des heißen letzten Sommers,
der den edlen Elfer zeitigte, hatte ein prächtiger Komet mit seiner rothen
Flammenruthe allnächtlich den Himmel erleuchtet. Die Massen wußten
seitdem, daß Großes, Unerhörtes bevorstehe. Als nun das wilde fremde
Kriegsvolk aus allerlei Landen durch die preußischen Dörfer strömte —
die kleinen genügsamen braunen Spanier und die Hünengestalten der
unersättlichen bairischen Trinker, die langsamen Holländer und die be-
henden Fanfarons aus der Gascogne — da schien dem kleinen Manne
Alles wie ein wüster Spuk; er meinte, dies tolle Wesen nehme ein
schlimmes Ende, und er bestärkte sich in solchem Glauben, wenn er,
Wuth im Herzen, die zügellosen Horden hausen sah, wie sie in rasendem
Uebermuthe das frische Weißbrot haufenweis in den Koth traten, die
vollen Flaschen an der Wand zerschmetterten. Die Politik der ideenlosen
Eroberungslust entsittlicht auf die Dauer ihre eigenen Heere; die alte
Mannszucht der napoleonischen Truppen war verschwunden, ein frecher,
meisterloser Landsknechtssinn nahm überhand. Auch die alte fröhliche
Siegeszuversicht war dahin. Der Soldat selbst begann des ewigen
Schlachtens endlich satt zu werden, er fürchtete die Schneewüsten des
Ostens; in den italienischen und deutschen Regimentern zeigte sich oft
ein dumpfer Groll. Die Reiter klagten: in den früheren Kriegen hätten
ihre Rosse beim Ausmarsch lustig gewiehert, heuer nicht.
Und seltsam, der naive Volksglaube urtheilte diesmal richtiger als
die Berechnung der Cabinette. Die Staatsmänner übersahen in ihren
schwarzsichtigen Erwartungen das Eine, worauf Alles ankam: daß Czar
Alexander in diesem Kriege ausharren mußte. Die Nachrichten von dem
Zuge der Heiden gegen das heilige Moskau brachten das ganze russische
Volk in Aufruhr, und wenn unter dem Despotismus die sonst schlum-
mernde öffentliche Meinung einmal erwacht, dann wirkt sie mit un-
widerstehlicher Gewalt. Alexander durfte nicht nachgeben, bei Verlust
seines Thrones. Er wußte es; in diesen Tagen der Prüfung wurde der
unstete Knabe zum Manne, soweit sein Charakter männlicher Tugenden
fähig war. Wie der Ephen am Eichbaum klammerte er sich fest an dem
eisernen Muthe des Freiherrn vom Stein. Der große Deutsche eilte mit
seinem getreuen Arndt nach Rußland und stand, eine Macht für sich selber,
dem Czaren zur Seite, erfüllte ihn mit einem Hauche seiner eigenen Leiden-
schaft. Je näher die Gefahr sich heranwälzte, um so freudiger und zuver-
sichtlicher hoben sich alle schneidigen und heldenhaften Kräfte seiner Seele:
bis nach Kasan, bis nach Sibirien hinein wollte er den Kampf fortführen,
denn dieser Krieg entschied über die Freiheit der Welt.
Eine tiefe Stille lagerte sich über Europa, als die letzten Colonnen
der großen Armee jenseits der russischen Grenze verschwanden. In