Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Brandenburg und die deutsche Libertät. 35 
menschen zu bewahren. Der Particularismus aller Stände und aller 
Landschaften vernahm mit Entsetzen, wie der große Kurfürst seine Unter- 
thanen zwang als „eines Hauptes Glieder"“ zu leben, wie er die Viel- 
herrschaft der Landtage den Befehlen der Landeshoheit unterwarf und 
seine Krone stützte auf die beiden Säulen monarchischer Vollgewalt, den 
miles perpetuuns und die stehende Steuer. In der Anschauung des 
Volkes galten Truppen und Steuern noch als eine außerordentliche 
Staatslast für Tage der Noth. Friedrich Wilhelm aber erhob das Heer 
zu einer dauernden Institution und schwächte die Macht der Landstände, 
indem er in allen seinen Gebieten zwei allgemeine Steuern einführte: 
auf dem flachen Lande den Generalhufenschoß, in den Städten die Accise, 
ein mannigfaltiges System von niedrigen directen und indirecten Ab- 
gaben, das auf die Geldarmuth der erschöpften Volkswirthschaft berechnet 
war und die Steuerkraft an möglichst vielen Stellen anfaßte. Im Reiche 
war nur eine Stimme der Verwünschung wider diese ersten Anfänge des 
modernen Heer= und Finanzwesens. Preußen blieb vom Beginne seiner 
selbständigen Geschichte der bestgehaßte der deutschen Staaten; die Reichs- 
lande, welche diesem Fürstenhause zufielen, sind fast alle unter lauten 
Klagen und heftigem Widerstande in die neue Staatsgemeinschaft ein- 
getreten, um sämmtlich bald nachher ihr Schicksal zu segnen. 
Das ungeheure, hoffnungslose Wirrsal der deutschen Zustände, die 
erbliche Ehrfurcht der Hohenzollern vor dem Kaiserhause und die Be- 
drängniß ihres zwischen übermächtigen Feinden eingepreßten Staates ver- 
hinderten noch durch viele Jahrzehnte, daß das alte und das neue 
Deutschland in offenem Kampfe auf einander stießen. Friedrich Wilhelm 
lebte und webte in den Hoffnungen der Reichsreform; mit dem ganzen 
feurigen Ungestüm seines heldenhaften Wesens betrieb er auf dem ersten 
Reichstage nach dem Westphälischen Frieden die zu Osnabrück verheißene 
Neugestaltung der Reichsverfassung. Da dieser Versuch scheiterte, faßte 
Georg Friedrich von Waldeck den verwegenen Gedanken, daß der Hohen- 
zoller selber dem Reiche eine neue Ordnung geben solle; er entwarf den 
Anschlag zu einem deutschen Fürstenbunde unter der Führung des ver- 
größerten brandenburgischen Staates. Noch waren die Zeiten nicht er- 
füllt. Der Kurfürst ließ seinen kühnen Rathgeber fallen, um der nächsten 
Noth zu begegnen und mit dem Kaiser verbündet gegen die Schweden 
auszuziehen; er hat nachher sogar den lang erwogenen Plan der Er- 
oberung Schlesiens aufgegeben, weil er Oesterreichs bedurfte im Kampfe 
wider Frankreich. Doch der Weg war gewiesen; jede neue große Er- 
schütterung des deutschen Lebens hat den preußischen Staat wieder zurück- 
geführt zu dem zweifachen Gedanken der Gebietserweiterung und der 
bündischen Hegemonie. 
Friedrich Wilhelm's Nachfolger brachte mit der Königskrone seinem 
Hause einen würdigen Platz in der Gesellschaft der europäischen Mächte, 
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