Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Beginn des Frühjahrsfeldzugs. 455 
meinte noch als die Wuth des Kampfes längst verraucht war: „dies Volk 
ist mich zuwider!“ — während ihm der laute Freimuth und der derbe 
Humor „des närrischen Volkes“ der Engländer von Herzen behagten. So— 
bald der Krieg begann widmete er sich mit ganzer Kraft seinem Berufe 
und legte sogar die geliebten Spielkarten aus der Hand um sie nicht wieder 
zu berühren vor dem Einzuge in Paris. Er kannte die Gebrechen seiner 
Bildung und wußte, daß er eines methodisch geschulten Kopfes bedurfte, 
der ihm die Gedanken für die Kriegführung angab. So hatte er im Feld— 
zuge von 1806 die Ideen Scharnhorst's ausgeführt; neidlos, in aufrich— 
tiger Bescheidenheit erkannte er die geistige Ueberlegenheit des Freundes 
an und freute sich ihn auch diesmal als Generalquartiermeister an seiner 
Seite zu sehen. Mit diesem hellen Kopfe und seiner eigenen Verwegen— 
heit dachte er der ganzen Welt zu trotzen — denn einen vielköpfigen 
Kriegsrath hat der Alte nie gehalten. 
Doch vorläufig stand er selbst noch unter russischem Oberbefehle. 
Nach dem Tode des unfähigen alten Feldmarschalls Kutusow übernahm 
General Wittgenstein die Führung des verbündeten Heeres, ein tapferer 
wohlmeinender Soldat ohne die Gaben des Feldherrn. Das russische 
Hauptquartier war, stolz auf die Erfolge des jüngsten Jahres, wenig ge— 
neigt auf die Rathschläge der Preußen zu hören. Schon am Tage nach 
dem Aufrufe des Königs brach Blücher aus Breslau auf, überschritt die 
Elbe bei Dresden, unterwarf fast ganz Sachsen bis auf die Festungen 
und rückte in den ersten Tagen des April bis in die Altenburger Gegend; 
seine leichten Truppen schweiften weit nach Westen, über Gotha hinaus. 
Gleichzeitig näherten sich im Norden York und Bülow der Elbe, schlugen 
den Vicekönig Eugen in dem glänzenden Gefechte von Möckern — dem 
ersten größeren Treffen, das den Franzosen zeigte, daß sie nicht mehr mit 
dem Heere von 1806 zu thun hatten — und gingen im Anhaltischen auf 
das linke Ufer des Stromes über. 
Wenn Scharnhorst und seine Freunde anfangs hofften, es werde ge— 
lingen vor Napoleon's Ankunft einen großen Theil von Westdeutschland zu 
besetzen und überall die Volksbewaffnung in Gang zu bringen, so mußten 
sie bald erkennen, wie wenig die verfügbaren Streitkräfte vorderhand noch 
für so großartige Entwürfe ausreichten. Ein glücklicher Angriff des kleinen 
Dörnberg'schen Corps auf Lüneburg gab zwar ein erhebendes Zeugniß 
von der Tapferkeit des jungen Heeres — die Soldaten priesen den ersten 
Ritter des eisernen Kreuzes, Major Borcke, die Poeten besangen das 
Heldenmädchen Johanna Stegen, das den Kämpfern im dichten Kugel— 
regen Pulver und Blei zutrug — jedoch das vereinzelte Unternehmen 
hatte keine bleibenden Folgen. Eine Schilderhebung der Patrioten im 
Bremischen wurde durch Vandamme, den rohesten und wüstesten der 
napoleonischen Generale, rasch niedergeworfen und grausam bestraft. Auch 
von den Festungen diesseits der Elbe waren bis zu Ende April nur Thorn
	        
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