Das linke Rheinufer. 515
dorfer Gymnasium illustre wurde sofort wieder auf deutschen Fuß ein—
gerichtet. Auch die härtesten der napoleonischen Steuern, die berüchtigten
droits réunis und die den rauchlustigen Deutschen besonders verhaßte
Tabaksregie fielen dahin. Sonst blieb die Organisation der Verwaltung
und der Gerichte vorläufig unverändert, nur daß den Kreisdirectoren, wie
jetzt die Unterpräfecten hießen, nach deutscher Weise größere Selbständig—
keit gewährt wurde.“) Im Ganzen war das Volk zufrieden und ertrug
willig die schweren Lasten dieses provisorischen Regiments, das in andert—
halb Jahren dem ausgesogenen Lande noch 6⅛ Millionen Franken an
Kriegssteuern und Zwangsanlehen abfordern mußte.
Wie anders die Stimmungen und Zustände am linken Ufer. Als
die Verbündeten im December das Elsaß betraten, begegnete ihnen überall
ein finsterer fanatischer Haß; das tapfere Volk war völlig berauscht von
dem Kriegsruhme der napoleonischen Adler, der Bauer glaubte jetzt noch
weit fester als in den neunziger Jahren, daß der Sieg der Coalition ihm
den Jammer der Zehnten und der Herrendienste wiederbringen werde.
Weiter abwärts am Rheine zeigte sich zwar solche offene Feindseligkeit
nur selten; jedoch nach zwei Jahrzehnten der Fremdherrschaft baute alle
Welt auf Frankreichs Unüberwindlichkeit. Wenige hielten den Untergang
des napoleonischen Reiches schon für entschieden, Niemand wünschte die
alten Zustände zurück. Die unter dem Schutze des Continentalsystems
emporgekommene Industrie fürchtete den reichen französischen Markt zu
verlieren; die Frauen der höheren Stände, die ja selbst im Innern
Deutschlands sich nur zu oft schwach gezeigt hatten gegen die wälsche
Liebenswürdigkeit, verhehlten hier selten ihre Vorliebe für die leichte An-
muth der französischen Sitten. Die Massen des Volkes waren des fremden
Wesens müde; man bereitete da und dort den deutschen Truppen fest-
lichen Empfang, ließ sich die Aufhebung der verwünschten droits réunis
und den wieder eröffneten Verkehr mit den überrheinischen Landsleuten
wohl gefallen, half auch wohl selber beim Niederreißen der verhaßten
Zollhäuser.
In jenen Kreisen der gebildeten Jugend, die von dem Hauche der
neuen christlich-germanischen Romantik berührt waren, herrschte fröh-
liche Begeisterung; freudestrahlend zog der junge Ferdinand Walter mit
den Donischen Kosaken in's Feld, auch einzelne ältere Männer schlossen
sich freiwillig den preußischen Bataillonen an. Doch von einer allgemeinen
Volkserhebung war nicht die Rede. Die Sieger selbst wagten kaum, diese
grunddeutschen Menschen schlechtweg als Deutsche zu behandeln. Der
Courrier d’Aix la Chapelle schrieb noch fast ein Jahr lang französisch,
das Journal du Bas Rhin et du Rhin Moyen brachte seine amtlichen
*) Gruner's Bericht über die Verwaltung des General-Gouvernements Berg,
24. Januar 1814.
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