516 I. 5. Ende der Kriegszeit.
Bekanntmachungen in beiden Sprachen. Der neue Generalgouverneur,
Oberpräsident Sack, selber ein geborener Rheinländer, verstand mit den
Leuten umzugehen; war er doch wie sie ein abgesagter Feind aller stän-
dischen Vorrechte und dem brandenburgischen Adel seit Jahren verdächtig.
So weit es anging, suchte er das Volk selber zu den Verwaltungsgeschäften
heranzuziehen. Mehrmals wurden die alten Generalräthe — Landes-
deputirte hießen sie jetzt — nach Aachen berufen um über die Vertheilung
der Kriegssteuern und Lieferungen zu berathschlagen; in jedem Canton
ward ein unbesoldeter Commissär aus der Mitte der Eingesessenen er-
nannt, der die Wünsche und Beschwerden des Bezirks dem Gouvernement
vortragen sollte.'!) Aber die Masse der neuen Beamten, die in die Stellen
der entflohenen Franzosen einrückten, der unvermeidliche Druck der Kriegs-
steuern und die Unsicherheit der provisorischen Zustände erweckten bald
Unwillen in dem leicht erregbaren Volke. Nicht lange, und der Ruf:
„da möchte man doch gleich provisorisch werden“ war eine beliebte rhein-
ländische Verwünschung. Jetzt schon ließ sich erkennen, wie viel schwere
Arbeit dereinst noch nöthig sein würde um diese halbverwälschten Krumm-
stabslande wieder einzufügen in das neue deutsche Leben. Nur die alt-
preußischen Unterthanen im linksrheinischen Cleve, in Mörs und Geldern,
schlossen sich mit ungemischter Freude der vaterländischen Sache an und
begannen bereits auf Bülow's Aufforderung ihre Landwehr zu bilden.
Da fuhr plötzlich der Oberbefehlshaber Bernadotte, der noch immer auf
Frankreichs Krone hoffte, mit einem Verbote dazwischen und erklärte: fran-
zösische Unterthanen dürften nicht gegen Frankreich fechten!
Wunderbarer Kreislauf der Geschicke! Von diesen schönen rheinischen
Landen war vor einem Jahrtausend unsere Geschichte ausgegangen: jetzt
fluthete der mächtige Strom des deutschen Lebens aus den jungen Colo-
nistenlanden des Nordostens wieder nach Westen zurück in sein verschüt-
tetes altes Bette. Keiner unter den Söhnen des Rheinlandes grüßte den
neuen Morgen, der über der Westmark aufging, mit so schwärmerischem
Entzücken wie Joseph Görres. Der Heißsporn trat jetzt in die glücklichste
und fruchtbarste Zeit seines wechselnden Lebens; er kehrte von seinen
wunderlichen wissenschaftlichen Irrfahrten zurück zu der publicistischen
Thätigkeit seiner Jugend und begann in dem Rheinischen Mercur den
Federkrieg für das neue Deutschthum — noch ganz so stürmisch, un-
bändig, gewaltsam wie vor Jahren, als er die Heilswahrheiten der Re-
volution verkündete, ein Redner großen Stiles, sprachgewaltig, unerschöpf-
lich in prächtigen, grandiosen Bildern, ein ehrlicher, freimüthiger Eiferer,
ein Wecker der Gewissen, und bei Alledem doch ein unpolitischer Kopf,
ohne eindringende Sachkenntniß, ohne Verständniß für die Machtverhält-
*) Sack's Generalbericht über die provisorische Verwaltung am Mittel= und Nieder-
rhein, 31. März 1816.