Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Der Rheinische Mercur. 517 
nisse der Staatenwelt. Der Rheinische Mercur war nicht, wie er sich 
selber nannte, eine Stimme der Völker diesseits des Rheines, die nun— 
mehr eine Vormauer für das Vaterland werden sollten. Am Rheine 
fand die überschwängliche Sprache der patriotischen Leidenschaft nur in 
vereinzelten Kreisen Anklang. Um so lauter war der Wiederhall in Nord- 
deutschland. Das entlegene Coblenz wurde zwei Jahre lang die Hochburg 
der deutschen Presse: so nach Zufällen und Persönlichkeiten wechselte der 
Mittelpunkt des politischen Lebens in diesem Volke ohne Hauptstadt. Die 
erzürnten Franzosen nannten Görres die fünfte unter den verbündeten 
Großmächten, die Diplomaten der Hofburg zitterten vor ihm. Der Rhei- 
nische Mercur ward bald noch mehr gelesen als vordem Schlözer's Staats- 
anzeigen und gewann unter den gebildeten Klassen ein Ansehen, wie seit- 
dem kein anderes deutsches Blatt; bei ausgebildetem Parteileben ist eine 
solche Machtstellung einer einzelnen Zeitschrift unmöglich. Der Mercur 
diente den Patrioten aller Farben zum parlamentarischen Sprechsaale; 
Jeder war willkommen, wenn er nur nicht französisch dachte, auch Stein 
und Gneisenau verschmähten nicht Beiträge zu senden. 
Eine bestimmte politische Richtung gab sich nur in der Polemik des 
Blattes kund; Görres wußte in Wahrheit nur was er nicht wollte. Wenn 
er die geheimen verrätherischen Umtriebe der rheinbündischen Fürsten geißelte 
oder seine Donnerkeile schleuderte gegen die Lohnschreiber Montgelas' und 
die seichte Aufklärung von Zschokke's Aarauer Zeitung, dann war der alte 
Kämpe in seinem Elemente. Schonungslos, mit packender Wahrheit schilderte 
er die Sünden, die den Fall des alten Reiches herbeigeführt, und ließ 
den gestürzten Napoleon sagen: „ein Volk ohne Vaterland, eine Ver- 
fassung ohne Einheit, Fürsten ohne Charakter und Gesinnung, ein Adel 
ohne Stolz und Kraft, das Alles mußte leichte Beute mir versprechen!“ 
Seine Pläne für Deutschlands Zukunft aber waren um nichts klarer als 
die hochtönenden Worte des Kalischer Aufrufs. Der Romantiker schwärmte 
für die Wiederherstellung der Karolingerkrone und suchte seine Kaiser- 
träume wohl oder übel zu verschmelzen mit den dualistischen Plänen, die 
ihm aus der preußischen Staatskanzlei mitgetheilt wurden; doch selbst 
diesen verschrobenen Gedanken einer zweifachen Hegemonie unter habs- 
burgischer Oberhoheit vermochte er nicht festzuhalten, sondern legte in 
seinem Blatte, zur Auswahl gleichsam, eine bunte Reihe grundverschiede- 
ner Verfassungspläne vor, wie sie ihm gerade von warmherzigen Patrio- 
ten eingesendet wurden. Bei einigem guten Willen der Regierungen — 
das schien Allen zweifellos — war die Neuordnung des befreiten Vater- 
landes ein Kinderspiel; wer die Wiederkehr der alten Machtkämpfe zwischen 
Oesterreich und Preußen auch nur für möglich gehalten hätte, wäre als 
ein Lästerer verrufen worden. Die Dankbaren nahmen jeden Vorschlag 
für den Staatsbau der deutschen Zukunft freundlich auf, wenn der Ver- 
fasser nur recht kräftig von deutschem Wesen, von der Eintracht der beiden
	        
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