Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

648 II. 1. Der Wiener Congreß. 
tinische Haus wieder auf der für Preußen lästigsten Stelle anzusiedeln und 
zugleich dem preußischen Freunde eine Wunde an seinem Leibe offen zu 
halten. Da die Lothringer selber in den Völkern ihres Hausbesitzes nie— 
mals eine österreichische Staatsgesinnung zu erwecken versucht hatten, so 
besaßen sie auch kein Verständniß für die staatsbildende Kraft der preußi— 
schen Monarchie; sie hofften, das getheilte Sachsen werde für Preußen 
ein zweites Polen sein. Kaiser Franz tröstete den Herzog von Weimar: 
„nu, nu, was bruddeln's mit dem Kopf? wenn das Land getheilt wird, 
kommt's am ersten wieder z'samm.“ 
Hardenberg wies den Antrag Metternich's entschieden zurück und schlug 
dann vor, die Albertiner nicht durch die Legationen, sondern durch ein 
Stück des katholischen Westphalens zu entschädigen. Er hatte in Wien 
endlich bemerkt, daß Oesterreich den nördlichen Theil des Kirchenstaates 
selber zu behalten wünschte, und dachte die Hofburg durch dies Anerbieten 
nachgiebiger zu stimmen. Niemand in ganz Deutschland hat damals die 
preußischen Staatsmänner darauf hingewiesen, was es bedeutete die beiden 
festen Burgen des römischen Wesens in unserem Norden, Münster und 
Paderborn, als einen selbständigen Staat in die Hände eines bigott katho— 
lischen Fürstenhauses zu geben; der heilige Stuhl wurde von allen Frei— 
geistern jener Generation als völlig machtlos geringgeschätzt, von den Ro— 
mantikern als ein Feind der Revolution bewundert. Dagegen erkannten 
die Patrioten sehr richtig, daß nach Hardenberg's neuestem Vorschlage, der 
allerdings durch den Gang der diplomatischen Verhandlungen unvermeidlich 
geboten war, die sächsischen Händel viel von ihrer nationalen Bedeutung 
verloren. Wollte man den getreuesten Vasallen Napoleon's wieder auf 
deutschem Boden ansiedeln, so war die Frage: ob er die Pässe des Erz— 
gebirges oder ein Stück von Niedersachsen erhalten solle? freilich noch 
immer hochwichtig für Preußens militärische Machtstellung, doch auf die 
warme Theilnahme des großen Publicums konnte sie nicht mehr zählen. 
Selbst Arndt gestand, seitdem sei ihm der sächsische Streit gleichgiltig ge— 
worden. Metternich fand auch diesen neuen Plan hochbedenklich und wieder— 
holte mit wachsender Bestimmtheit, nur die Wiedereinführung des Gefan— 
genen in einen Theil seines Landes könne den tiefen Unmuth der deutschen 
Fürsten beschwichtigen. 
Auch England nahm bald sein gegebenes Wort zurück. Lord 
Castlereagh erntete jetzt die Früchte seiner zudringlichen Anmaßung. Er 
hatte dem Czaren die gröbsten Beleidigungen geboten; und da nunmehr 
Preußen sich weigerte an dem diplomatischen Feldzuge gegen Rußland ferner 
theilzunehmen, so trieb die Logik der Thatsachen die englischen Staats- 
männer auf die Seite jener Macht, welche Preußen und Rußland am ent- 
schiedensten bekämpfte. Bereits am 15. November kam der beschränkt- 
ehrliche Charles Stewart zu Stein und klagte voll Schmerz und Scham: 
wir sind gezwungen uns in Frankreichs Arme zu werfen! Die Furcht
	        
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