Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

764 II. 2. Belle Alliance. 
verschoben! Schon jenseits der Grenze empfingen die Deutschen den 
Feind; die Hälfte des preußischen Heeres und ein Theil der norddeutschen 
Contingente genügten um, vereint mit etwa 60,000 Engländern und Nie— 
derländern, das französische Heer auf's Haupt zu schlagen; unabweisbar 
drängte sich der Gedanke auf, daß Preußen allein, selbst ohne Oesterreich, 
bereits stark genug war die bösen Nachbarn zu bemeistern, wenn sich nur 
alle deutschen Staaten ihm anschlossen. Gneisenau sagte befriedigt: „Die 
Franzosen ahnen nicht bloß, sie wissen jetzt, daß wir ihnen überlegen sind.“ 
Im Bewußtsein solcher Kraft verlangte die Nation wie aus einem Munde 
rücksichtslose Ausbeutung des Sieges, gänzliche Befreiung des deutschen 
Stromes. Im Namen Aller rief Arndt den Siegern zu: 
Nun nach Frankreich, nun nach Frankreich! 
Holt gestohlnes Gut zurück! 
Unfre Vesten, unsre Grenzen, 
Unsern Theil an Siegeskränzen, 
Ehr' und Frieden holt zurück! 
In gleichem Sinne rief ein anderer Poet: 
Reißt Vauban's Stachelgurt von Frankreichs Grenze, 
Legt ihn der Euren an! 
Die Unvollkommenheit alles menschlichen Thuns zeigt sich aber nir- 
gends greller als im Kriege. Ein letzter Erfolg, der noch möglich schien, 
entging den Preußen — nicht ohne die Schuld der beiden gelehrtesten 
Männer der Armee, wie die Offiziere urtheilten. Das Heer Grouchy's 
entzog sich der Vernichtung. Als der Marschall am 18. Juni gegen 
Wavre herankam, hielt ihn Thielmann bis zum Abend durch ein geschickt 
und muthig geführtes Gefecht an der Dyle fest. Am frühen Morgen 
des 19. griff Grouchy abermals an, und Thielmann, der dem übermäch- 
tigen Feinde nur drei Brigaden entgegenzustellen hatte, wich in der Rich- 
tung auf Löwen zurück. Sein Generalstabschef, der geistvolle Clausewitz 
hielt die Lage für noch bedenklicher als sie war und setzte den Rückzug 
allzuweit nach Norden fort. Als die Franzosen sodann, auf die Schreckens- 
nachricht aus Belle Alliance, schleunigst umkehrten und der Sambre zu- 
eilten, da hatten die Preußen die Fühlung mit ihnen verloren und konnten 
sie nicht mehr erreichen. Unterdessen ward auch von der Hauptarmee her 
ein Unternehmen gegen Grouchy eingeleitet. Während General Pirch am 
späten Abend des 18. bei Plancenoit eintraf und die Schlacht schon nahezu 
beendet fand, verfiel sein Generalstabschef, der gelehrte Aster sogleich auf 
den glücklichen Gedanken, dies zweite Corps müsse sich jetzt ostwärts 
wenden um je nach Umständen die Armee Grouchy's zu verfolgen oder 
ihr den Rückzug abzuschneiden. Er sprach damit nur aus was unmittel- 
bar nachher Gneisenau selber dem General auftrug. Die Aufgabe bot 
große Schwierigkeiten. Das Corps war durch den Tag von Ligny und
	        
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