Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

178 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages. 
zufangen mit einer Aristokratie, welche nur dem ganzen Deutschland ange— 
hören konnte und für die Armseligkeit der Kleinstaaterei zu hoch stand. Er 
zwang sie, von dem politischen Leben sich schmollend zurückzuziehen, so daß 
sie nur zuweilen noch, durch Klagen über verletzte Privilegien, das deutsche 
Volk unliebsam an ihr vergessenes Dasein erinnerte. 
In den zwei ersten Jahren seines Bestandes brachte der Bundestag 
überhaupt nur ein einziges einigermaßen brauchbares Gesetz zu stande: 
die Austrägalordnung vom 16. Juni 1817. Auch dieser Beschluß trug 
allerdings das Gepräge des lockersten Föderalismus; auf den Gedanken 
eines stehenden Bundesgerichts, welchen Preußen in Wien so hartnäckig 
verteidigt hatte, wagte niemand mehr zurückzukommen. Immerhin war es 
schon ein Gewinn, daß die Bundesglieder sich verpflichteten, ihre gegen— 
seitigen Streitigkeiten zunächst der Vermittlung des Bundestages zu über- 
geben; schlug diese Vermittlung fehl, so sollte der oberste Gerichtshof eines 
von den beiden Parteien gewählten Bundesstaates die Entscheidung fällen. 
Auf solche Weise sind in der Tat manche kleine Händel zwischen den 
Bundesstaaten friedlich, und schneller als weiland durch die Reichsgerichte, 
beigelegt worden. Aber freilich nur Streitfragen von geringer Bedeutung. 
Denn Preußen stellte schon bei den ersten Beratungen den Grundsatz 
auf, der seitdem in Berlin immer festgehalten wurde: die Austrägalinstanz 
dürfe nur über eigentliche Rechtsfragen, nicht über politische Interessen- 
fragen entscheiden. Dieser von den Kleinstaaten mit lebhaftem Widerspruche 
aufgenommene Vorbehalt war rechtlich anfechtbar, aber politisch notwendig; 
denn nimmermehr konnte eine europäische Macht gestatten, daß die großen 
Machtfragen ihrer Politik etwa von dem Zerbster oder dem Jenaer Appel- 
lationsgerichte nach den Grundsätzen des Zivilprozesses erledigt würden. 
Wenn eine Gesandtenkonferenz ernste Zwecke verfolgt, so wird die 
Parteistellung der Mitglieder auf die Dauer stets durch die Gesinnungen 
ihrer Auftraggeber bestimmt; am Bundestage aber fand die Persönlichkeit 
der einzelnen Gesandten freieren Spielraum, da die Höfe sich um die 
Frankfurter Nichtigkeiten wenig bekümmerten. So entstand nach und nach 
eine höchst unnatürliche Parteibildung, die allein auf den persönlichen An- 
sichten der Gesandten beruhte. Smidt und Berg wurden in Wien als 
die beiden „ganz schlechten Kerls“ bezeichnet, obschon weder der Bremer 
Senat, noch der Großherzog von Oldenburg den Vorwurf liberaler Ge- 
sinnung verdiente. Zu ihnen gesellten sich Plessen, Eyben, Martens, 
Wangenheim; auch der neue bayrische Gesandte Aretin stand den An- 
schauungen des Liberalismus nahe. Am meisten Kummer bereitete dem 
Präsidialgesandten doch die unerschöpfliche Beredsamkeit des wackeren Gagern. 
Dieser wunderliche Legitimist des alten Reichsrechts wollte „nur eine kaiser- 
liche Abdikation, nicht die des Reiches“ kennen, forderte harmlos für den 
Deutschen Bund die ganze Machtvollkommenheit der kaiserlichen Majestät. 
„Alles was deutsch ist“ sollte der Befugnis der Bundesversammlung an-
	        
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