Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Notabeln-Versammlungen. 207 
die Mehrheit, da Bülow lebhaft für die gefährdete Staatseinheit eintrat, 
und Schuckmann in einer langen Denkschrift ausführte: wenn der preu— 
ßische Staat diese Lebensfrage dem Gutdünken von zehn Provinzialland— 
tagen anheimgebe, so werde er bald in eine ähnliche Lage geraten wie 
Frankreich in den Tagen Calonnes.“) Die Kommission wagte auch nicht, 
wie Humboldt vorschlug, geradezu die Mitwirkung der Landstände bei 
der Feststellung des neuen Steuersystems zu fordern. Sie fühlte, daß die 
Krone noch immer hoch über der politischen Einsicht des Volkes stand, und 
eine durchgreifende Steuerreform nur durch ein königliches Machtgebot 
gelingen konnte; zudem bestanden die verheißenen neuen Landtage noch gar 
nicht, und mit den alten Ständen von Neuvorpommern und Sachsen, die 
sich trotzig auf ihre verbriefte Steuerfreiheit beriefen, war jede Verhand— 
lung aussichtslos. Daher wurde dem Kommissionsberichte nur die viel— 
deutige Schlußwendung hinzugefügt: zur Beruhigung des Volkes scheine 
es notwendig, „den neuen Steuerplan mit den Maßregeln wegen der 
Stände in Zusammenhang zu setzen“. Am 20. Juni ging der Bericht an 
den Monarchen ab; er beantragte Annahme des Zollgesetzes und Vorlegung 
eines umfassenden neuen Planes für die gesamte innere Besteuerung. 
Der König verhehlte der Kommission nicht, daß er nicht bloß scharfe 
Kritik, sondern bestimmte Gegenvorschläge erwartet habe; doch genehmigte 
er ihre Anträge und befahl den Oberpräsidenten, zunächst angesehene Ein— 
wohner aus ihren Provinzen zu berufen, damit die öffentliche Meinung 
sich über den Steuerplan äußern könne. Im August und September 
wurden die Notabelnversammlungen in allen zehn Provinzen abgehalten, 
und sie sprachen sich allesamt gegen die Mahl- und Fleischsteuer aus. 
Es fehlte nicht an stürmischen Auftritten. Die Notabeln des Großher— 
zogtums Posen, neun polnische Edelleute und drei bürgerliche Deutsche, 
behaupteten mit sarmatischer Überschwänglichkeit: diese Steuer vernichte 
„die gänzliche Zivil- oder Menschenfreiheit; der Angriff auf solches Heilig— 
tum löset alle Bande der menschlichen Gesellschaft auf.“ Darauf ver— 
sicherten sie dreist die grobe Unwahrheit, daß der Steuerertrag Posens zur 
Bereicherung der alten Provinzen verwendet werde: „das Gewehr ist nieder- 
gelegt, die Hand gedrückt; soll denn das Herzogtum keinen Anteil an 
den Vorteilen des Friedens haben?" Die schlesischen Notabeln fügten 
ihrem Gutachten sogar eine bedeutsame Rechtsverwahrung hinzu. Sie 
erklärten, auf den Antrag des Grafen Dyhrn, daß sie nur ihre perfön- 
liche Meinung abgäben; die Mitwirkung bei dem neuen Steuergesetze müsse 
den künftigen Ständen vorbehalten bleiben.““) Es war ein Schatten kom- 
mender Ereignisse, ein erstes böses Anzeichen der staatsrechtlichen Ver- 
  
*) Schuckmann, Denkschrift an das Staatsministerium, 4. Juni 1817. 
**) Eingabe der Posener Notabeln an den Staatskanzler, 17. August 1817. — Die 
Verhandlungen der schlesischen Notabeln bei Wuttke, Die schlesischen Stände. S. 219 f.
	        
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