Maassen. 213
betrachtete als höchste Aufgabe der Landespolitik „das Numeraire dem
Lande zu konservieren“; die Mehrheit beschloß, der Krone die Wiederher—
stellung des Verbotsystems, wie es bis zum Jahre 1806 bestanden, anzu—
raten. Aber zugleich mit diesem Berichte ging auch ein geharnischtes
Minderheitsgutachten ein, verfaßt von Staatsrat Kunth, dem Erzieher
der Gebrüder Humboldt, einem selbstbewußten Vertreter des altpreußischen
Beamtenstolzes, der das gute Recht der Bureaukratie oftmals gegen die
aristokratische Geringschätzung seines Freundes Stein verteidigte. Mit
den Zuständen des Fabrikwesens aus eigener Anschauung gründlich ver—
traut, lebte und webte er in den Gedanken der neuen Volkswirtschaftslehre.
„Eigentum und Freiheit, darin liegt alles; es gibt nichts anderes“ —
so lautete sein Kernspruch. Als das ärgste Gebrechen der preußischen
Industrie erschien ihm die erstaunlich mangelhafte Bildung der meisten
Fabrikanten, eine schlimme Frucht des Ubergewichts der gelehrten Klassen,
welche nur durch den Einfluß des auswärtigen Wettbewerbs allmählich be-
seitigt werden konnte; waren doch selbst unter den ersten Fabrikherren
Berlins viele, die kaum notdürftig ihren Namen zu schreiben vermochten.
Kunths Gutachten fand im Staatsrate fast ungeteilte Zustimmung;
es ließ sich nicht mehr verkennen, daß die Aufhebung der Handelsverbote nur
die notwendige Ergänzung der Reformen von 1808 bildete. Als das
Plenum des Staatsrats am 3. Juli über das Zollgesetz beriet, sprachen die
politischen Gegner Gneisenau und Schuckmann einmütig für die Befreiung
des Verkehrs. Oberpräsident Merckel und Geh. Rat Ferber, ein aus dem
sächsischen Dienste herübergekommener trefflicher Nationalökonom, führten
aus, daß dem Notstande des Gewerbefleißes in Schlesien und Sachsen
nur durch die Freiheit zu begegnen sei; und zuletzt stimmten von 56 An-
wesenden nur drei gegen das Gesetz: Heydebreck, Ladenberg und Geh. Rat
Beguelin..) Am 1. August genehmigte der König von Karlsbad aus „das
Prinzip der freien Einfuhr für alle Zukunft“. Nun folgten neue peinliche
Verhandlungen, da es anfangs unmöglich schien die neue Ordnung gleich-
zeitig in den beiden Hälften des Staatsgebietes einzuführen. Endlich am
26. Mai 1818 kam das Zollgesetz für die gesamte Monarchie zustande.
Sein Verfasser war der Generaldirektor Karl Georg Maassen, ein
Beamter von umfassenden Kenntnissen, mit Leib und Seele in den Ge-
schäften lebend, ein Mann, der hinter kindlich anspruchslosen Umgangs-
formen den kühnen Mut des Reformers, eine tiefe und freie Auffassung
des sozialen Lebens verbarg. Aus Cleve gebürtig, hatte er zuerst als preu-
hischer Beamter in seiner Heimat, dann eine Zeitlang im bergischen
Staatsdienste die Großindustrie des Niederrheines, nachher bei der Pots-
damer Regierung die Volkswirtschaft des Nordostens kennen und also die
Theorien Adam Smiths, denen er von früh auf huldigte, durch viel-
*) Protokolle des Staatsrats. 4. Sitzung vom 3. Juli 1817.