Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

214 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. 
seitige praktische Erfahrung zu ergänzen gelernt. So ging er auch beim 
Entwerfen des Zollgesetzes nicht von einer fertigen Doktrin aus, sondern 
von drei Gesichtspunkten der praktischen Staatskunst. Die Aufgabe war: 
zunächst in der gesamten Monarchie durch Befreiung des inneren Ver— 
kehrs eine lebendige Gemeinschaft der Interessen zu begründen, sodann 
dem Staate neue Einnahmequellen zu eröffnen, endlich dem heimischen Ge— 
werbfleiß einen mächtigen Schutz gegen die englische Ubermacht zu ge- 
währen und ihm doch den heilsamen Stachel des ausländischen Wettbe— 
werbs nicht gänzlich zu nehmen. Wo die Wünsche der Industrie den An- 
sprüchen der Staatskassen widersprachen, da mußte das Interesse der 
Finanzen vorgehen; dies gebot die Bedrängnis des Staatshaushalts. 
Die beiden ersten Paragraphen des Gesetzes verkündigten die Freiheit 
der Ein-, Aus= und Durchfuhr für den ganzen Umfang des Staates. 
Damit wurde die volle Hälfte des nicht-österreichischen Deutschlands zu 
einem freien Marktgebiete vereinigt, zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft, 
welche, wenn sie die Probe bestand, sich auch über die andere Hälfte der 
Nation erweitern konnte. Denn die schroffsten Gegensätze unseres viel- 
gestaltigen sozialen Lebens lagen innerhalb der preußischen Grenzen. War 
es möglich, Posen und das Rheinland ohne Schädigung ihrer wirtschaft- 
lichen Eigenart derselben wirtschaftlichen Gesetzgebung zu unterwerfen, so 
war schon erwiesen, daß diese Gesetze mit einigen Anderungen auch für 
Baden und Hannover genügen mußten. Preußen hatte sich — so sagte 
Maassen oftmals — genau die nämlichen Fragen vorzulegen wie alle die 
anderen deutschen Staaten, welche ernstlich nach Zolleinheit verlangten, 
und konnte, wegen der Mannigfaltigkeit seiner wirtschaftlichen Interessen, 
leichter als jene die richtige Antwort finden. Aber die Ausführung des 
Gedankens, die Verlegung der Zölle an die Grenzen des Staats war in 
Preußen schwieriger, als in irgend einem anderen Reiche; sie erschien 
zuerst vielen ganz unausführbar. Man sollte eine Zollinie von 1073 
Meilen bewachen, je eine Grenzmeile auf kaum fünf Geviertmeilen des 
Staatsgebietes, und zwar unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen, 
da die kleinen deutschen Staaten, die mit dem preußischen Gebiete im Ge- 
menge lagen, zumeist noch kein geordnetes Zollwesen besaßen, ja sogar den 
Schmuggel grundsätzlich begünstigten. Solche Bedrängnis veranlaßte die 
preußischen Finanzmänner zur Aufstellung eines einfachen übersichtlichen 
Tarifs, der die Waren in wenige große Klassen einordnete. Eine um- 
fängliche, verwickelte Zollrolle, wie sie in England oder Frankreich bestand, 
erforderte ein zahlreiches Beamtenpersonal, das in Preußen den Ertrag 
der Zölle verschlungen hätte. Durch denselben Grund wurde Maassen be- 
wogen, die Erhebung der Zölle nach dem Gewichte der Waren vorzu- 
schlagen, während in allen anderen Staaten das von der herrschenden 
Theorie allein gebilligte System der Wertzölle galt. Die Abstufung der 
Zölle nach dem Werte würde die Kosten der Zollverwaltung unverhält-
	        
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