Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

376 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
deutscher Minister die Legitimität des angestammten Fürstenhauses zu 
preisen, und doch klang dies Selbstlob nirgends lächerlicher als hier, in 
einem Ländchen von 85 Geviertmeilen, das vor wenigen Jahren noch 
unter siebenundzwanzig verschiedenen Landesherren verteilt gewesen. 
Nach der Abtretung von Saarbrücken, Lahr, Siegen blieb von dem 
alten nassauischen Hausbesitze wenig übrig. Auch die altoranischen Land— 
schaften hatten mit dem deutschen Herzogshause nicht viel mehr als den 
Namen gemein. Was konnte ein Kleinstaat diesem tapferen Volke bieten, 
über dem einst der Sonnenschein weltgeschichtlichen Ruhmes geleuchtet 
hatte? Dort auf den rauhen Bergen des Westerwaldes und in dem ab— 
gelegenen Winkel des Dilltals erzählte sich jedes Haus von den Hollands- 
fahrten der Väter; dort stand noch die Linde, unter deren Schatten Wil- 
helm der Schweiger die Gesandten der niederländischen Rebellen empfangen 
hatte; dort lag Herborn, vor Zeiten die kampflustige Hochschule des Kal- 
vinismus, jetzt zogen statt streitbarer Theologen friedliche Ackerbürger durch 
die Chaldäergasse des stillen Landstädtchens. Noch gleichgültiger standen die 
pfälzischen, trierschen, hessischen Amter des Rheintals dem neuen Fürsten- 
hause gegenüber. Den bigotten Kurtrierern kam es hart an, daß sie mit 
den protestantischen Katzenellenbogenern unter einen Hut gerieten und die 
trutzigen Grenzfesten der beiden feindlichen Nachbarvölker, die Katz und 
die Maus nun in Trümmern lagen; aber noch härter, daß die wunder- 
reiche Wallfahrtskirche zur schmerzhaften Mutter Gottes von Bornhofen 
durch den nassauischen Amtmann sofort geschlossen wurde. Am aller- 
wenigsten wollte sich der kurmainzische Rheingau mit dem neuen Regimente 
befreunden, das Paradies der rheinischen Lebenslust, das wonnige Land, 
wo die Poesie des Weines selbst die Armut froh erhält. Hier in den 
verkehrsreichen Flecken und städtischen Dörfern, die sich dichtgedrängt wie 
eine einzige Stadt im Strome wiederspiegeln, lag der radikale Übermut 
in der Luft, und der Minister tat das Seine um dem Gespött des lustigen 
Völkchens täglich neuen Stoff zu bieten. 
Da ein Staatsministerium und daneben noch ein Staatsrat, ein 
Armee-Kommando und eine Rechenkammer für die Glückseligkeit von 300,000 
Seelen offenbar nicht ausreichten, so setzte der nassauische Organisator noch 
eine Landesregierung darunter, die mit dem Ministerium unter einem 
Dache wohnte aber nur schriftlich mit der vorgesetzten Behörde verkehren 
durfte; darunter wieder 25 Amter, unter diesen die Gemeinden, deren 
Schultheißen die Regierung ernannte. Dazu außer den Untergerichten 
zwei Appellationsgerichte und ein Oberappellationsgericht. Dies mächtige 
uniformierte Beamtenheer war für sich und seine Kinder von der Militär- 
pflicht befreit, genoß eines privilegierten Gerichtsstandes und wetteiferte 
mit dem Minister in despotischer Grobheit. Der wackere Präsident Ibell, 
ein strenger, aber wohlmeinender und gescheiter Beamter, der an der neuen 
Gesetzgebung das Beste getan, kam gegen Marschalls übles Beispiel
	        
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