Nassauischer Domänenstreit. 377
nicht auf. Die preußischen Behörden hatten beständig über die händel—
süchtige Anmaßung dieser Nachbarn zu klagen; den bereits vereinbarten
Vertrag über eine preußische Etappenstraße wollte Marschall nachträglich
noch abändern, und erst als ihn General Wolzogen mit einer Pistolen—
forderung bedrohte, gab er die versprochene Unterschrift. Zwecklos erging
sich der bureaukratische Aktenfleiß im reinen Genusse seines Daseins. Als
das neue Herzogtum nach einem halben Jahrhundert wieder verschwand,
war noch nicht einmal die Landstraße durch das dichtbevölkerte Rheintal
vollendet; wer fahren wollte, mochte drüben auf dem linken Ufer die preu—
ßische Chaussee benutzen.
Also wurde die neue Organisation der Behörden und der Gemeinden
ohne den Landtag begründet, obgleich die Verfassung den Landständen die
Mitwirkung bei neuen Gesetzen versprach. Daran schloß sich die Trennung
der Domänen= und der Steuerkasse, eine scheinbar harmlose Maßregel, die
einen argen Gewaltstreich vorbereiten sollte. Die Kassentrennung war kaum
vollzogen, so überraschte Marschall das Land durch die Behauptung, daß
die gesamten Domänen dem Landesherrn allein gehörten, und eröffnete
damit die endlose Reihe jener Kämpfe um das Kammergut, welche seitdem
durch viele Jahrzehnte eine ekelhafte Eigentümlichkeit der deutschen Klein-
staaterei blieben und den monarchischen Sinn dieser gutmütigen Bevöl-
kerung zu untergraben halfen. Die Frage, ob das Kammergut dem Staate
oder dem fürstlichen Hause gehöre, war allerdings nicht leicht und nicht
überall auf die gleiche Weise zu beantworten, da die meisten der kleinen
Territorien noch bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts nach den
Grundsätzen des Patrimonialstaates regiert wurden und mithin den Unter-
schied von Staats= und Privatrecht kaum kannten. Das politische König-
tum der Hohenzollern hatte schon hundert Jahre zuvor die Domänen
für Staatsgut erklärt; Bayern und einige andere größere Fürstenhäuser
folgten jetzt diesem Beispiele. Den kleinen Fürsten dagegen lag die Ver-
suchung nahe, das Land nur als ein Rittergut, die Herrschaft nur als
ein nutzbares Recht zu betrachten; sie fühlten, daß ihre Macht wesentlich
auf ihrem Reichtum ruhte, und beeilten sich ihr Haus gegen die Wechsel-
fälle der Zukunft zu sichern, da ihnen das Schicksal der Mediatisierten
vor den Augen stand. So fand der Großherzog von Baden an dem
Nebeniusschen Verfassungsentwurfe nur einen Punkt bedenklich: er bestand
darauf, daß die Domänen seinem Hause als Patrimonialgut zugewiesen
würden. In Nassau war mindestens ein Teil der Ansprüche des Landes-
herrn durchaus unberechtigt; denn die kurmainzischen Kammergüter, jene
herrlichen Rebgärten des Rheingaues, deren Weine in dem berühmten Eber-
bacher Klosterkeller lagerten, hatten unzweifelhaft dem Erzstifte, dem Staate
gehört.
Eine neue, noch erstaunlichere Forderung des Herzogs Wilhelm
brachte endlich das ganze Land in Harnisch. Im Jahre 1808 waren die