Metternich über die preußische Verfassung. 489
Aachen, sagte der österreichische Staatsmann späterhin, wird man dereinst
die Rettung der preußischen Monarchie datieren!
Unter allem was aus Metternichs Feder floß beweist die Denk—
schrift über die preußische Verfassung wohl am deutlichsten die klägliche
Gedankenarmut dieses Kopfes, der nur durch seine diplomatische Schlau—
heit, durch die Gunst des Glücks und durch die Ängstlichkeit der anderen
Höfe dahin gelangen konnte, die Welt während eines Menschenalters
über seine Nichtigkeit zu täuschen. Von der fundamentalen Verschiedenheit
der politischen Aufgaben eines nationalen Staates wie Preußen und eines
Völkergemisches wie Osterreich begriff er nicht das Mindeste. Mit der
Treuherzigkeit eines besorgten Freundes, der sein Schicksal nimmermehr
von dem Lose Preußens trennen wollte, setzte er dem Könige ausein-
ander, daß die innere Lage der beiden deutschen Großmächte im wesent-
lichen dieselbe sei; beide Monarchien beständen aus „unter sich getrennten
Provinzen". Daß dem nicht so war, daß Preußen schon längst eine
zentralisierte Verwaltung besaß, war der Hofburg ganz unbekannt; sie
konnte sich einen kräftigen Staat nur in der Form lose verbundener
Erblande vorstellen, und Kaiser Franz wiederholte gern seinen Kern-
satz: „der Bestand einer Monarchie aus verschiedenen Körpern macht sie
eben stark“".
Metternich fand „das österreichische Reich selbst noch mehr als das
preußische zu einem rein repräsentativen System geeignet — wenn nicht
die Verschiedenheit unter den Völkern in Rücksicht auf Sprache und Sitte
zu bedeutend wäre. Wie könnte das, wozu es in Osterreich dennoch
an der Möglichkeit der Ausführung fehlt, in Preußen gedeihen?“ Die
Einführung einer „Zentral-Repräsentation“ in Preußen wäre demnach
die „reine Revolution“; sie müßte die militärische Kraft des Staates zer-
stören und den Zerfall des Reichs herbeiführen; sei doch bereits zwischen
Belgien und Holland, die soviel besser zusammenpaßten als die preußi-
schen Provinzen, infolge des Repräsentativsystems ein gefährliches Zer-
würfnis entstanden! Darum möge sich der König mit Provinzialständen
begnügen — ein Ratschlag, der unzweifelhaft im voraus mit Wittgen-
stein verabredet war — und diesen Ständen lediglich das Recht der Bitten,
der Beschwerden, der Repartition der direkten Steuern einräumen. Nur
im äußersten Falle, weil es einmal öffentlich versprochen sei, könne in
der Zukunft vielleicht noch eine Zentraldeputation aus diesen Provinzial-
ständen einberufen werden, je drei Vertreter aus jeder Provinz — also
ein Vereinigter Landtag von einundzwanzig Köpfen, ein würdiges Seiten-
stück zu jenem winzigen Reichsrate, welchen Metternich kurz zuvor für
sein Osterreich vorgeschlagen hatte. Aber, so fügte er bedeutsam hinzu,
und hierin lag unzweifelhaft seine wahre Meinung — „pführt diese be-
schränktere Idee nicht auch zur Revolution? Diese Frage erwäge der König
tief bevor er sich entscheidet!“