122 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's.
seiner Jugend, darum waren sie mit seinem ganzen Wesen fest verwachsen.
Niemals vergaß er, wie seine Mutter, die unaussprechlich geliebte, einst
auf der Treppe des Schlosses von Schwedt den Söhnen die Schreckens—
nachricht aus Jena mitgetheilt und wie sie nachher ihnen ans Herz gelegt
hatte den preußischen Degen zu führen um ihre unglücklichen Brüder, die
Oesterreicher zu rächen. Alle die Demüthigungen, welche sein Vater von
dem übermüthigen Sieger erlitten, blieben dem Sohne unauslöschlich ins
Herz gegraben; ganz vergeblich hatte der Imperator auf der Dresdener
Zusammenkunft 1812 den gütigen Oheim gespielt und dem Prinzen gesagt,
wie ähnlich er Friedrich dem Großen sehe. Napoleon galt dem Erben der
preußischen Krone als der Held der Revolution, als der Vertreter jenes
„Lügengeistes“, der, Glauben und Recht verneinend, die alte glückliche
Ordnung Europas in einem Meere von Blut und Thränen ertränkt
hatte, und es bedurfte kaum der Lehren Ancillon's um den Prinzen in
diesem Urtheil zu bestärken. In solcher Gesinnung nahm er theil an
dem Befreiungskriege und bemerkte nicht, daß die erwachenden Nationen
in Bonaparte den Despoten haßten, daß sie von dem Siege nicht die
Wiederkehr der alten Zustände, sondern das unbestimmte Glück der Völker—
freiheit erwarteten. Nun stand es wieder aufrecht, das alte Königthum
von Gottes Gnaden, und der Drache der Revolution lag gebändigt vor
dem blanken Schilde der christlichen, legitimen Monarchie. Nimmer wieder
durfte ein Usurpator den Thron des heiligen Ludwig besteigen, und noch
auf lange hinaus mußte der Bund der vier Mächte aufrecht bleiben, unter
der weisen Führung Metternich's, dem der Kronprinz eine unbegrenzte
Verehrung widmete. So konnte vielleicht nach dem großen Schiffbruch der
letzten Jahre doch etwas wiederhergestellt werden von den alten Formen
der christlich-germanischen Welt.
Von dem alten heiligen Reiche hatte sich der Prinz ein Bild ent—
worfen, das ebenso geistvoll und farbenprächtig, aber auch ebenso willkür—
lich war wie jene bezaubernde Schilderung des romantischen Schwärmers
Novalis von den „schönen, glänzenden Zeiten, wo Europa ein christliches
Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil
bewohnte“. Er dachte sich einen Kaiser aus dem alten Erzhause, frei
gewählt durch die durchlauchtigen Genossen, und begriff nicht, warum der
Kurfürst-Kämmerer von Brandenburg nicht auch jetzt noch, trotz seines
königlichen Titels, Kaiserlicher Majestät das silberne Becken reichen sollte.
Unter dem Kaiser sodann „freie Fürsten über freien Völkern“; überall ein
mächtiger Adel, der seine Bauern väterlich regierte und auf den Tagen
der getreuen Landstände den Ausschlag gab; die Bürgerschaft endlich in
Innungen gegliedert und ihres alten Zunftbrauchs froh. An solchen
Träumen hing sein Herz. Er lebte in Zeiten, die gewesen. Er sah den
Lausitzer Stier und den Löwen von Jülich, das clevische Kleerad und alle
die weißen, rothen und grünen Greifen der pommerschen Herzogthümer,