Neue Wiener Conferenzen. 315
gewöhnten Bewohnern anderer Bundesstaaten tagtäglich die empörendsten
Maximen ungestraft gepredigt würden.“
So der neue Staatsstreichsplan Metternich's, die natürliche Folge
der wiederholten Angstrufe aus Baiern und Baden. Auch hier in Wien
noch bot Blittersdorff Alles auf, um eine Auslegung der Schluß-Akte
im Sinne des Absolutismus, den er Ordnung nannte, zu Stande zu
bringen; denn daheim in Karlsruhe hatten die Minister soeben wieder einen
schweren parlamentarischen Kampf zu bestehen. Der Führer der badischen
Opposition, Liebenstein, war inzwischen in den Dienst des Ministeriums
eingetreten. Er und Ludwig Winter bewährten als Commissare der
Regierung jene jugendliche, naturwüchsige Beredsamkeit, welche die Ober—
deutschen immer vor den glätteren und kälteren Rednern des Nordens
ausgezeichnet hat; Liebenstein begeisterte durch sein schwungvolles Pathos,
Winter gewann durch kernigen Mutterwitz und volksthümliche Derbheit.
Im liberalen Lager tauchte ein neues Talent auf: Adam v. Itzstein aus
Mainz, ein feuriger und schlagfertiger Redner, weder durch staatsmännischen
Blick noch durch überlegene Sachkenntniß ausgezeichnet, aber rührig und
gewandt. Er wußte seine Leute, die jungen vornehmlich, zusammen—
zuschaaren und bei guter Stimmung zu halten; durch seine gewinnende
Liebenswürdigkeit wurde er bald der Vermittler zwischen den Oppositions—
parteien der süddeutschen Landtage. Auf seinem Landgute Hallgarten im
Nheingau, dicht unter dem Johannisberge, pflegten die Liberalen des
Südens sich zu versammeln; und wie oft, wenn droben auf dem Metter-
nich' schen Schlosse die Diplomaten tagten um dem Bunde, nach Gentz's
Ausdruck, eine neue Portion Karlsbader Wassers einzuflößen, klangen
drunten im Thale die gefüllten Römer zusammen zu einem Pereat auf
den Bundestag. Man nannte Itzstein wohl den liberalen Metternich.
Von diplomatischer Klugheit gab er freilich auf diesem seinem ersten Land-
tage keine Proben; er reizte auf und drängte vorwärts in einem Augen-
blicke, da nur behutsame Mäßigung das junge Verfassungsleben vor einem
zerstörenden Schlage sichern konnte.
Seit jener Zusammenkunft Metternich's und Berstett's trat das neue
„Innsbrucker System“ des badischen Hofes immer deutlicher hervor. Man
verhehlte die Sehnsucht nach einem Gewaltstreiche so wenig, daß die
preußische Regierung für nöthig hielt, die reaktionären Heißsporne in
Karlsruhe zur Besonnenheit zu mahnen. Verfassungsänderungen, schrieb
Ancillon (9. Dec.), könnten nur das Werk der Zeit sein: „bis dahin
befindet sich die Regierung in der Nothwendigkeit, das sich selbst aufgelegte
Joch mit resignirter Würde und dem Scheine nach freiwillig zu tragen“
darum darf sie auch nicht „einer in der Natur der Staatsformen be-
gründeten Opposition mit Bitterkeit begegnen“.) Die Liberalen andererseits
*) Ancillon, Weisung an Küster, 9. December 1822,