Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

370 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
der Bauernstand war zwar schwach vertreten, aber durch wirkliche Bauern, 
nicht, wie im Süden, zumeist durch Beamte und Städter. Dieser Stand, 
auf dessen Tüchtigkeit die unverwüstliche Kraft des deutschen Wesens vor— 
nehmlich beruht, vermochte in den ständischen Landtagen seine Meinung mit 
einer Freiheit auszusprechen, die ihm durch die allgemeinen Wahlen des 
Repräsentativsystems fast immer verkümmert wird, und er verhielt sich, 
obwohl der Unfreiheit kaum erst entwachsen, doch keineswegs schüchtern, 
sondern trat der Ritterschaft, wenn sie sich zu überheben suchte, mit hartem 
Bauerntrotz entgegen. Dagegen fehlten die gelehrten Stände, die Be— 
amten, Advocaten, Professoren und Schriftsteller, die in den süddeutschen 
Kammern das große Wort führten, in den preußischen Provinzialständen 
fast gänzlich, und auch die gewaltig anwachsende Macht des beweglichen 
Vermögens besaß nur mittelbar eine durchaus ungenügende Vertretung. 
Hierin lag das schlimmste Gebrechen der neuen Ordnung. Denn in 
diesen Schichten der Gesellschaft wurzelte der junge Liberalismus, dessen 
Macht und Recht sich doch nicht mehr verkennen ließ, ihre Meinung 
beherrschte längst den größten Theil der Presse. Da man ihnen den 
Zutritt zu den Landständen fast versperrte, so gaben die ständischen Verhand— 
lungen nur ein unvollständiges Bild von der wirklichen Volksgesinnung, 
und nach und nach wuchs außerhalb der Landtage eine gefährliche Oppo— 
sition heran, die in der Stille so lange fortwucherte, bis nach Jahren 
plötzlich zur allgemeinen Ueberraschung an den Tag kam, daß sie bereits 
die Mehrheit des gebildeten Bürgerthums für sich gewonnen hatte. 
Die Grundeigenthümer, die in den Provinzialständen allein zu Worte 
kamen, bewährten in ihrer großen Mehrzahl eine streng conservative Gesin— 
nung. Bis zum Jahre 1830 verlautete in sämmtlichen acht Landtagen kein 
Wort über die verheißenen Reichsstände. In der Presse der Kleinstaaten 
erinnerte wohl noch dann und wann eine vereinzelte Stimme an das 
alte Versprechen: so der junge Heinrich v. Gagern, der in der Allgemeinen 
Zeitung den ersten westphälischen Landtag warm begrüßte und die Er- 
wartung aussprach, mit der Eröffnung der preußischen Reichsstände werde 
eine neue Zeit preußisch-deutscher Größe beginnen. Bei den Provinzial- 
ständen selber fanden solche Hoffnungen für jetzt noch keinen Anklang. 
Die freieren Köpfe hielten sich in ihrer Königstreue verpflichtet, den Ent- 
schlüssen der Krone nicht vorzugreifen, sondern zunächst abzuwarten, wie 
die Provinzialvertretung sich bewähren würde. Die weit überwiegende 
Mehrheit aber blickte noch kaum über die heimische Provinz hinaus. Auf 
den ersten süddeutschen Landtagen war der Liberalismus sogleich mit einem 
langen Programm halbreifer Wünsche hervorgetreten; in Preußen mußte 
die Krone beständig den zähen Particularismus der Landstände, ihr Miß- 
trauen gegen jede Neuerung bekämpfen. Hier erfüllte sich vollständig was 
Humboldt vorausgesagt: die Stände würden immer den Grundsatz der 
Erhaltung, die Regierung den der Verbesserung vertreten.
	        
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