Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

374 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
eine für die östlichen Provinzen. Die letzteren sechs sagten im Wesent— 
lichen alle dasselbe und wurden nur darum nicht zu einem einzigen Gesetze 
zusammengefaßt, weil die historische Romantik sich an Provinzialgesetzen 
absonderlich ergötzte. Die neuen Kreistage hatten „die Kreisverwaltung 
des Landraths“ zu begleiten und zu unterstützen, Wünsche und Rathschläge 
kundzugeben, auch für die Vertheilung einiger Staatssteuern zu sorgen, 
jedoch die erste Vorbedingung lebendiger Selbstverwaltung, die Verfügung 
über selbständige eigene Einkünfte blieb ihnen versagt. Nur dieser Ohnmacht 
der Kreistage war es zu verdanken, daß die Virilstimmen der Ritterschaft 
den Bürgern und Bauern nicht völlig unerträglich wurden. Auf den 
Kreistagen der Monarchie tagten etwa 10,000 Rittergutsbesitzer neben 979 
städtischen und 975 bäuerlichen Bevollmächtigten; im Regierungsbezirke 
Cöslin, wo die Macht der Ritterschaft am stärksten war, zählte der erste 
Stand 729, der zweite 36, der dritte 45 Stimmen. Eine solche Unbilligkeit 
mußte die socialen Gegensätze verschärfen. Der stille Groll gegen den 
Adel nahm im Bürgerthum und Bauernstande mit den Jahren zu, obwohl 
die Ritterschaft fast überall tüchtige Männer für die Landrathsstellen vor- 
schlug und die fortschreitende Ablösung der bäuerlichen Lasten manchen 
Anlaß zum Unfrieden beseitigte. — 
Dergestalt hatte die altständische Partei noch einmal einen vollen 
Sieg davon getragen. An die Neuordnung des Landgemeindewesens war 
nun nicht mehr zu denken, da Kreisstandschaft und Gutsherrschaft ein- 
ander wechselseitig bedingten und der Adel auf einigen Provinzialland- 
tagen sogar die Verstärkung seiner gutsherrlichen Polizeigewalt beantragte. 
Darum blieb dieser Reformplan Hardenberg's vorläufig liegen. Nur an der 
Umgestaltung der Städteordnung ward im Staatsrath weiter gearbeitet, 
aber auch nur langsam und zunächst auch ohne Ergebniß. Denn auf Schritt 
und Tritt sah sich die Gesetzgebung gehemmt durch die widersprechenden 
Anträge dieser acht Landtage. Die Rheinländer dachten mindestens die 
Grundzüge ihres französischen Municipalwesens zu retten, die Branden- 
burger und Altpommern verlangten Beschränkung der Zahl der Bürger, 
die Sachsen erweiterte Rechte für den Magistrat. Die Neuvorpommern 
endlich wollten sich aus dem ehrwürdigen Bau ihrer alten, schwerfälligen, 
aber volksthümlich tüchtigen Städteverfassung keinen Stein ausbrechen 
lassen; jeder Stralsunder dachte mit Stolz an die ruhmreiche Geschichte 
seiner Achtundvierziger und Hundertmänner und hielt streng darauf, daß 
der königliche Commandant nach althansischem Brauche noch allabendlich 
die Schlüssel der Festung dem regierenden Bürgermeister übergab. 
ALuch weitere Kreise betheiligten sich lebhaft an dem Streite. Die Reform 
der Städteordnung war in diesen stillen Jahren die einzige öffentliche An- 
gelegenheit, welche die preußische Presse ernstlich beschäftigte. Streckfuß und 
der schlesische Bürgermeister Perschke vertheidigten in gründlichen Schriften 
die Städteordnung Stein's — die politische Bibel der Preußen, wie ihre
	        
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