428 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
über das Orchester gleiten ließ, dann empfanden Alle, daß ein Zug napo—
leonischer Herrscherkraft in der brütenden Wildheit dieses leidenschaftlichen
gelben Gesichtes lag, und mit tadelloser Sicherheit folgte die Kapelle jeder
Regung seines Taktstocks. Er fühlte sich stolz als letzter classischer Ver—
treter jener alten Prachtoper der Romanen, deren große Zeit nun zu
Ende ging. Brachte ihm ein junger Anfänger ein schwächliches Musik—
stück, dann führte er den Unglücklichen ans Fenster, zeigte hinüber nach
der majestätischen Kuppel der französischen Kirche und sagte erhaben:
mon ami, il vous faut des idées grandes comme cette coupole!
Doch unmöglich konnte dieser stolze Fremdling einer Nation genügen, die
sich in der Musik längst ihre eigenen Ideale geschaffen hatte. Mit patrio-
tischer Entrüstung stürzte sich die Presse auf ihn, obgleich er unbedenklich
Polizei und Censur, zuweilen sogar ein Machtwort des Königs selber zu Hilfe
rief. Die Jugend verlangte nach nationaler Kunst, sie wollte ihren Lieb-
ling C. M. v. Weber auf dem Stuhle des Kapellmeisters sehen. Als der
junge Felix Mendelssohn-Bartholdy in dem neuen schönen Saale, den
der König der Singakademie geschenkt hatte, Bach's Matthäus-Passion
aufführte, da hätte der Maestro wohl lernen können, daß diese weihe-
vollen vaterländischen Klänge die deutschen Herzen doch ganz anders er-
griffen als die Trommelwirbel seines Cortez; aber was kümmerten ihn
diese nordischen Barbaren, deren Sprache er niemals recht lernte? —
Wie kleinlich erschien dies leichte Geplänkel neben den ernsten Kämpfen,
welche das wissenschaftliche Leben Berlins bewegten. Die junge Univer-
sität war jetzt wirklich, wie W. Humboldt einst gehofft, die erste Deutsch-
lands; sie hatte Fichte, Niebuhr, K. F. Eichhorn verloren, aber Bopp, Ritter,
Ranke und viele andere glänzende junge Talente gewonnen; die schöpfe-
rischen Gedanken, welche in der Theologie, der Rechtswissenschaft und auf
dem weiten Gebiete der historisch -philologischen Forschung neue Bahnen
brachen, gingen großentheils von Berlin aus. Und nun schlug auch die
Hegel'sche Philosophie an der Spree ihr Lager auf, das letzte der großen
philosophischen Systeme, welche wirklich gelebt und die Nation beherrscht
haben. Im Bewußtsein eines welthistorischen Berufs hatte Hegel (1818) sein
preußisches Amt angetreten: „Auf der Universität des Mittelpunkts muß
auch der Mittelpunkt der Wissenschaft, die Philosophie ihre Stelle finden.“
Er widmete sich in Berlin ganz dem Katheder, und ungeheuer war die
Wirkung seines lebendigen Wortes. Neben den Studenten saßen auch
viele bedeutende Männer aus dem Beamtenthum und dem Heere zu des
Meisters Füßen und bewunderten die großartige Architektonik eines fest in
sich geschlossenen, die ganze Welt umspannenden Gedankenbaues, der, so
lange der Grundfehler seiner Anlage unentdeckt blieb, dem Selbstgefühle
des denkenden Geistes die höchste mögliche Befriedigung gewährte. Die
Philosophie war nicht mehr Liebe zum Wissen, sie wähnte die Weisheit
selber zu sein und zog mit maßlosem Hochmuth wider das bloß verständige