Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Der junge Radicalismus. A. Ruge. 441 
der Zwingherrschaft erst die Republiken der Niederländer und der Ameri— 
kaner wieder einiges Heil in die Welt gebracht, bis dann endlich der lichte 
Tag der großen Revolution emporgestiegen war und eine neue Blüthe 
der Menschheit in den Heldenkämpfen des Convents sich entfaltet hatte. 
Solche Ansichten, die in den Tagen des Wartburgfestes noch einen Sturm 
des Unwillens erregt hätten, fanden jetzt schon eine gläubige Gemeinde. 
Unfähig, wie er sein Lebelang blieb, Traumleben und Wirklichkeit zu unter— 
scheiden, baute Ruge fest auf die radicale Entschlossenheit seiner Genossen 
und bezweifelte niemals die unermeßliche Ueberlegenheit „dieser ruhigen 
republikanischen Staatsmänner“ gegenüber der verrotteten monarchischen 
Philisterwelt. „Von dem richtigen Verständniß dieser Frage hängt die Zukunft 
Europas, insbesondere unseres noch nicht republikanischen Volkes ab“ — 
so klang es dröhnend durch den Saal, da die jungen Weltverbesserer über 
die Frage „des freien Schlägers“ beriethen und als rauflustige Philo— 
sophen zu dem echt germanischen Entschlusse gelangten, die mittelalterliche 
Barbarei des Duells in Anbetracht der Vorurtheile des Zeitalters vor— 
läufig noch nicht aufzugeben. 
Wo diese radicale Richtung obenauf kam, da begann sich der Ton 
bald merklich zu ändern. Vom Christenthum war gar keine Rede mehr; 
aus den alten Wahlsprüchen „frisch, frei, fröhlich, fromm“ und „Gott, 
Freiheit, Ehre, Vaterland“ wurden die Frömmigkeit und der liebe Gott 
stillschweigend weggelassen, hier und da schon förmlich gestrichen. Wie er- 
schrak Wolfgang Menzel, als er einige Jahre nach den Karlsbader Be- 
schlüssen aus der Schweiz heimkehrte und von der christlich-germanischen 
Schwärmerei seiner Burschenzeit keine Spur mehr übrig fand. In Halle 
bemühte sich Karl von Raumer, der treue Freund der alten Burschen- 
schaft, vergeblich, den radicalen Verführern der Jugend zu wehren. Die 
Burschen hörten nicht mehr auf ihren frommen Lehrer. Wie durfte man 
von ihnen Mäßigung erwarten, wenn der Unverstand der Behörden das 
altgewohnte akademische Genossenschaftsleben völlig zu vernichten suchte und 
den Studenten nicht einmal die Einsetzung eines akademischen Ausschusses 
gestatten wollte? Lächerlich grell trat der Gegensatz des alten und des 
neuen Geschlechts an den Tag, als Arnold Ruge eine Zeit lang mit Jahn 
zusammen in Kolberg auf der Festung saß, der pantheistische Republikaner 
mit dem strenggläubigen, preußischen Monarchisten. Keiner von Beiden 
verhehlte, daß er den Anderen für einen ausgemachten Narren ansah, 
Kamptz aber hielt Beide für gleich ruchlose Hochverräther. Für die Zu- 
kunft des deutschen Parteilebens wurde die radicale Verbitterung des jungen 
Geschlechts unheilvoll, für die öffentliche Sicherheit stand im Augenblicke 
nichts zu fürchten. Wie scharf durchschaute Arndt die deutsche Jugend, 
als er ihr zurief: 
Schlecht geräth Dir List und Kunst, 
Feinheit wird Dir eitel Dunst.
	        
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