464 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Mannigfache Anzeichen verkündeten schon, daß die Deutschen, zuerst
die Preußen, aus der trostlosen Verarmung der Kriegsjahre wieder aufzu—
steigen begannen. Ueber alle Erwartung hob sich der Verkehr, seit Preußen
den Ausbau seines Straßennetzes ernstlich in Angriff nahm. In den
kurzen fünf Jahren der Verwaltung Motz's wurden 285 Meilen neuer
Chausseen vollendet, 141 begonnen — darunter die kostspieligen und
schwierigen Straßen durch die schlesischen und westphälischen Gebirge, durch
die Werder des Weichselthals, durch die sumpfigen Niederungen um Magde—
burg und Merseburg, denn gerade in diesen unwegsamen Gegenden war
das Verkehrsbedürfniß am stärksten. Manchen Landstrichen des entlegenen
Ostens brachten die neuen Straßen ein ganz verändertes Leben; in der
Tucheler Heide konnte man des Räuberwesens jetzt erst Herr werden, und
der Urheber des Baues, Schön verdiente wohl, daß die dankbaren Um—
wohner ihm mitten im Walde ein Denkmal setzten. Im Jahre 1831 besaß
der Staat 1147 Meilen Steinstraßen, mehr denn doppelt so viel als im
Jahre 1816. Von den 39 ½ Mill. Thlr., welche der König in den Jahren
1820—34 für außerordentliche Bauten, Meliorationen und Kunstwerke
ausgeben ließ, wurden 11,6 Mill. für die Chausseen verwendet.“)
Und der Generalpostmeister verstand die Straßen zu verwerthen.
Nagler's Posten erregten den Neid der Nachbarn und griffen schon vielfach
in das verzinkte und verzackte Gebiet der Kleinstaaten hinein. Wie der
preußische Thaler überall seinen günstigen Kurs behauptete, obgleich Nassan
und andere Kleinstaaten sich redlich bemühten, ihn durch landesfürstliche
Verordnungen um einige Kreuzer unter seinen Handelswerth herabzu-
drücken, so konnte man sich auch die unheimlichen Postillone mit dem
Orangekragen nicht ganz vom Leibe halten. In den Städten Thüringens
strömte das Volk zusammen um den königlichen Eilwagen zu bewundern,
der seit 1825 zweimal wöchentlich den Tag und die Nacht hindurch
zwischen Berlin und Frankfurt fuhr. Die Einnahmen der Post stiegen in
sieben Jahren, bis 1830, von 2,, auf mehr als 4 Mill. Thlr. Die Zahl der
Briefe wuchs, denn bald nach den Binnenzöllen war folgerecht auch (1824)
das Binnenporto beseitigt worden mitsammt allen den geheimnißvollen
Zuschlagstaxen der guten alten Zeit. Die Gebühren wurden jetzt einfach
nach der Entfernung erhoben. Sie blieben noch recht hoch (1—5 Sgr.
für die Entfernungen unter 30 Meilen, und dann für je 10 Meilen mehr
1 Sgr. Zuschlag); aber die Preußen wußten jetzt doch mindestens Bescheid,
während es in den Kleinstaaten noch täglich vorkam, daß etwa ein Brief
von Bremen nach Stuttgart teurer bezahlt werden mußte, als ein Brief
von Stuttgart nach Bremen.
Und schon begann die Wunderkraft des Dampfes sich auch im deutschen
7) Uebersicht der Ausgaben für außerordentliche Bauten 2c. 1820—34. Zusammen-
gestellt im k. Geh. Cabinet 1835.