Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Baden. Württembergischer Landtag. 51 
gesonderte Eigenthümlichkeit aus“.“) So fanden sich „die diesseitigen und 
die deroseitigen“ Ansichten, wie Marschall zu sagen pflegte, fröhlich zu- 
sammen in dem beglückenden Gedanken, wie fern der Tag der deutschen 
Einheit sei. — 
Sogar der gefürchtete württembergische Verfassungsvertrag, dessen 
Aufhebung Marschall vor Kurzem noch gefordert hatte, erwies sich unter 
König Wilhelm's geschickten Händen als ein Werk von untadelhafter Harm- 
losigkeit. Im Januar 1820 wurde der erste ordentliche Landtag des König- 
reichs eröffnet. Der aus Weimar vertriebene Lindner, der nach langem 
Aufenthalt im Elsaß nunmehr in der Stuttgarter Presse für König Wilhelm's 
Ideen thätig war, hatte die Nation durch eine weihevolle Schrift auf die 
Größe dieses historischen Augenblicks vorbereitet. Niebuhr's Freund Graf 
Moltke kam eigens nach Württemberg, um hier im Musterlande deutscher 
Freiheit das constitutionelle Wesen an der Quelle kennen zu lernen;) 
und die Krone versäumte nicht, ihren Freisinn von Zeit zu Zeit durch 
ein wohllautendes Schlagwort der deutschen Welt in Erinnerung zu 
bringen. Wie jubelten die liberalen Zeitungen, als Minister Maucler 
den Ständen feierlich versicherte, sein König liebe die Oeffentlichkeit! Im 
Lande selbst ließ man sich zwar diese Huldigungen der deutschen Nachbarn 
wohl gefallen, aber die politische Ermattung, welche dem leidenschaftlichen 
Kampfe um das alte gute Recht gefolgt war, hielt noch jahrelang an. 
Die Wahlen vollzogen sich beinahe ohne Kampf, selbst Wählerversamm- 
lungen und Candidatenreden kamen kaum vor. Fast überall bezeichneten 
die Oberamtmänner den Wählern den Mann ihres Vertrauens und sie 
bedurften weder des Zwanges noch der Bestechung, um die kleinen Bauern, 
die in den meisten Wahlbezirken den Ausschlag gaben, zum schuldigen 
Gehorsam zu bewegen. Der alte bürgerliche Herrenstand, der das Her- 
zogthum Württemberg so lange regiert, richtete sich auch in dem con- 
stitutionellen Königreiche wieder behaglich ein. Die große Mehrheit der 
zweiten Kammer bestand aus Beamten und ließ sich von ihrem klugen 
Präsidenten Weishaar so fügsam nach dem Willen des Ministers Maucler 
leiten, daß selbst Ancillon der Sanftmuth dieser Stände warmen Beifall 
spenden mußte.“““") Eine Oppositionspartei fand sich nicht wieder zu- 
sammen, seit die Führer der Altrechtler ihren Frieden mit der Krone 
geschlossen hatten; nur auf eigene Faust mahnten einzelne unabhängige 
Abgeordnete an die zahlreichen uneingelösten Verheißungen der Verfassungs- 
urkunde, an alle die organischen Gesetze, welche sie in Aussicht stellte. Der 
liberale König war mit der Zahmheit des Landtags wohl zufrieden und 
äußerte gern vor den fremden Diplomaten: das Betragen seiner getreuen 
  
*) Marschall an Berstett, 18. Aug.; Berstett an Metternich, 12. Sept. 1820. 
*“) Wangenheim an Hartmann, 8. März 1820. *““) Ancillon, Ministerial- 
schreiben an Leg.-Rath v. Schoultz-Ascheraden, 10. März 1820. 
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