Baden. Württembergischer Landtag. 51
gesonderte Eigenthümlichkeit aus“.“) So fanden sich „die diesseitigen und
die deroseitigen“ Ansichten, wie Marschall zu sagen pflegte, fröhlich zu-
sammen in dem beglückenden Gedanken, wie fern der Tag der deutschen
Einheit sei. —
Sogar der gefürchtete württembergische Verfassungsvertrag, dessen
Aufhebung Marschall vor Kurzem noch gefordert hatte, erwies sich unter
König Wilhelm's geschickten Händen als ein Werk von untadelhafter Harm-
losigkeit. Im Januar 1820 wurde der erste ordentliche Landtag des König-
reichs eröffnet. Der aus Weimar vertriebene Lindner, der nach langem
Aufenthalt im Elsaß nunmehr in der Stuttgarter Presse für König Wilhelm's
Ideen thätig war, hatte die Nation durch eine weihevolle Schrift auf die
Größe dieses historischen Augenblicks vorbereitet. Niebuhr's Freund Graf
Moltke kam eigens nach Württemberg, um hier im Musterlande deutscher
Freiheit das constitutionelle Wesen an der Quelle kennen zu lernen;)
und die Krone versäumte nicht, ihren Freisinn von Zeit zu Zeit durch
ein wohllautendes Schlagwort der deutschen Welt in Erinnerung zu
bringen. Wie jubelten die liberalen Zeitungen, als Minister Maucler
den Ständen feierlich versicherte, sein König liebe die Oeffentlichkeit! Im
Lande selbst ließ man sich zwar diese Huldigungen der deutschen Nachbarn
wohl gefallen, aber die politische Ermattung, welche dem leidenschaftlichen
Kampfe um das alte gute Recht gefolgt war, hielt noch jahrelang an.
Die Wahlen vollzogen sich beinahe ohne Kampf, selbst Wählerversamm-
lungen und Candidatenreden kamen kaum vor. Fast überall bezeichneten
die Oberamtmänner den Wählern den Mann ihres Vertrauens und sie
bedurften weder des Zwanges noch der Bestechung, um die kleinen Bauern,
die in den meisten Wahlbezirken den Ausschlag gaben, zum schuldigen
Gehorsam zu bewegen. Der alte bürgerliche Herrenstand, der das Her-
zogthum Württemberg so lange regiert, richtete sich auch in dem con-
stitutionellen Königreiche wieder behaglich ein. Die große Mehrheit der
zweiten Kammer bestand aus Beamten und ließ sich von ihrem klugen
Präsidenten Weishaar so fügsam nach dem Willen des Ministers Maucler
leiten, daß selbst Ancillon der Sanftmuth dieser Stände warmen Beifall
spenden mußte.“““") Eine Oppositionspartei fand sich nicht wieder zu-
sammen, seit die Führer der Altrechtler ihren Frieden mit der Krone
geschlossen hatten; nur auf eigene Faust mahnten einzelne unabhängige
Abgeordnete an die zahlreichen uneingelösten Verheißungen der Verfassungs-
urkunde, an alle die organischen Gesetze, welche sie in Aussicht stellte. Der
liberale König war mit der Zahmheit des Landtags wohl zufrieden und
äußerte gern vor den fremden Diplomaten: das Betragen seiner getreuen
*) Marschall an Berstett, 18. Aug.; Berstett an Metternich, 12. Sept. 1820.
*“) Wangenheim an Hartmann, 8. März 1820. *““) Ancillon, Ministerial-
schreiben an Leg.-Rath v. Schoultz-Ascheraden, 10. März 1820.
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