52 III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Stände könne anderen Ländern zum Muster dienen.) Er betrachtete
sein Reformwerk als vorläufig abgeschlossen, die Gesetzgebung gerieth ins
Stocken, der Ausbau der Verfassung ward auf unbestimmte Zeit vertagt.
Das so heiß ersehnte constitutionelle Regiment erwies sich in seinen ersten
Zeiten weit unfruchtbarer als vordem die königliche Diktatur.
An diesem Stillstande des öffentlichen Lebens trug der Adel des
Landes eine schwere Mitschuld. Wohl mochte es den stolzen reichsunmittel-
baren Geschlechtern hart ankommen, daß sie jetzt den Groll gegen eine
Krone, die ihnen so viel Unrecht zugefügt, überwinden und als Unter-
thanen an den unscheinbaren Arbeiten eines kleinen Landtags theilnehmen
sollten. Aber die Verfassung hatte ihnen doch endlich Alles gewährt,
was sie nach den Wiener Verträgen fordern durften; wollten sie in diesem
demokratischen Jahrhundert ihr Ansehen behaupten, so mußten sie den
neuen Rechtsboden ohne Hintergedanken anerkennen und mindestens ver-
suchen, ob es möglich sei auf so enger Bühne die Rolle einer volksthüm-
lichen, die Rechte des Landes muthig wahrenden Aristokratie zu spielen.
Zu seinem und des Landes Schaden verschmähte der hohe Adel Schwabens
selbst diesen Versuch. Die Kammer der Standesherren zeigte sich un-
lustig zu den Geschäften, feindselig gegen jede Reform, sie schloß von
vornherein alle Zuhörer von ihren Verhandlungen aus — was ihr durch
das Grundgesetz nur freigestellt, nicht geboten war — und entfremdete
sich dem Volke so gänzlich, daß sie bald fast so übel berufen war wie
der bourbonische Adel. Durch den Widerstand der Privilegirten wurde
die dringend nöthige und von König Wilhelm lebhaft gewünschte Ablösung
der grundherrlichen Lasten während eines Menschenalters immer wieder
hinausgeschoben. Als der erste Landtag im Winter 1820 nach mehr-
monatlicher Vertagung abermals zusammentrat, erschienen die Standes-
herren nicht in beschlußfähiger Anzahl — ein seltsames Schauspiel, das
sich in den nächsten acht Jahren noch zweimal wiederholte. Da die Ver-
fassung für diesen Fall bereits Vorkehrungen getroffen hatte, so tagte die
zweite Kammer vorderhand allein, und das nicht erschienene Haus ward
als zustimmend angesehen. Ein Jahr nach dem Abschlusse des Grund-
vertrags sah man sich also bereits zu dem Nothbehelfe eines unfreiwilligen
Einkammersystems gezwungen. Ein also verstümmelter Landtag konnte
nur wenig leisten.
Da wurde der parlamentarische Friede plötzlich gestört durch den Ein-
tritt Friedrich List's, im December 1820. Der unerschrockene Gegner des
Schreiberregiments hatte mittlerweile in seinem „Volksfreund“ den alten
Kampf rastlos fortgeführt. Er allein im Lande wagte rundheraus zu sagen,
daß der alte Herrenstand mit der neuen Bureaukratie sich verständigt
hatte. Leider fehlte ihm die schonende Klugheit, deren der Publicist in der
*) Küster's Bericht, 27. Juni 1820.