Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

52 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
Stände könne anderen Ländern zum Muster dienen.) Er betrachtete 
sein Reformwerk als vorläufig abgeschlossen, die Gesetzgebung gerieth ins 
Stocken, der Ausbau der Verfassung ward auf unbestimmte Zeit vertagt. 
Das so heiß ersehnte constitutionelle Regiment erwies sich in seinen ersten 
Zeiten weit unfruchtbarer als vordem die königliche Diktatur. 
An diesem Stillstande des öffentlichen Lebens trug der Adel des 
Landes eine schwere Mitschuld. Wohl mochte es den stolzen reichsunmittel- 
baren Geschlechtern hart ankommen, daß sie jetzt den Groll gegen eine 
Krone, die ihnen so viel Unrecht zugefügt, überwinden und als Unter- 
thanen an den unscheinbaren Arbeiten eines kleinen Landtags theilnehmen 
sollten. Aber die Verfassung hatte ihnen doch endlich Alles gewährt, 
was sie nach den Wiener Verträgen fordern durften; wollten sie in diesem 
demokratischen Jahrhundert ihr Ansehen behaupten, so mußten sie den 
neuen Rechtsboden ohne Hintergedanken anerkennen und mindestens ver- 
suchen, ob es möglich sei auf so enger Bühne die Rolle einer volksthüm- 
lichen, die Rechte des Landes muthig wahrenden Aristokratie zu spielen. 
Zu seinem und des Landes Schaden verschmähte der hohe Adel Schwabens 
selbst diesen Versuch. Die Kammer der Standesherren zeigte sich un- 
lustig zu den Geschäften, feindselig gegen jede Reform, sie schloß von 
vornherein alle Zuhörer von ihren Verhandlungen aus — was ihr durch 
das Grundgesetz nur freigestellt, nicht geboten war — und entfremdete 
sich dem Volke so gänzlich, daß sie bald fast so übel berufen war wie 
der bourbonische Adel. Durch den Widerstand der Privilegirten wurde 
die dringend nöthige und von König Wilhelm lebhaft gewünschte Ablösung 
der grundherrlichen Lasten während eines Menschenalters immer wieder 
hinausgeschoben. Als der erste Landtag im Winter 1820 nach mehr- 
monatlicher Vertagung abermals zusammentrat, erschienen die Standes- 
herren nicht in beschlußfähiger Anzahl — ein seltsames Schauspiel, das 
sich in den nächsten acht Jahren noch zweimal wiederholte. Da die Ver- 
fassung für diesen Fall bereits Vorkehrungen getroffen hatte, so tagte die 
zweite Kammer vorderhand allein, und das nicht erschienene Haus ward 
als zustimmend angesehen. Ein Jahr nach dem Abschlusse des Grund- 
vertrags sah man sich also bereits zu dem Nothbehelfe eines unfreiwilligen 
Einkammersystems gezwungen. Ein also verstümmelter Landtag konnte 
nur wenig leisten. 
Da wurde der parlamentarische Friede plötzlich gestört durch den Ein- 
tritt Friedrich List's, im December 1820. Der unerschrockene Gegner des 
Schreiberregiments hatte mittlerweile in seinem „Volksfreund“ den alten 
Kampf rastlos fortgeführt. Er allein im Lande wagte rundheraus zu sagen, 
daß der alte Herrenstand mit der neuen Bureaukratie sich verständigt 
hatte. Leider fehlte ihm die schonende Klugheit, deren der Publicist in der 
  
*) Küster's Bericht, 27. Juni 1820.
	        
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