Ausstoßung F. List's. 53
Enge kleinstaatlicher Zustände nicht entrathen kann; so grausame Artikel,
wie die Gespräche zwischen Minister Großvezier und Gerichtsrath Frech—
stirn wollte ihm Niemand vergeben. Schon zweimal war es der Bureau—
kratie gelungen, ihren Todfeind dem Landtage fern zu halten; diesmal
erschien er rechtmäßig gewählt von den demokratischen Reutlingern und
brachte sofort Alles in Aufruhr durch die sprudelnde Heftigkeit seiner
gedankenreichen Reden. Aber auch diesmal fand sich ein Mittel den
Störenfried zu beseitigen. List hatte für seine Wähler den Entwurf einer
Adresse ausgearbeitet, die sich in scharfen Worten gegen die Allmacht des
Beamtenthums wendete: „Jammer und Noth überall; nirgends Ehre,
nirgends Einkommen, nirgends Fröhlichkeit denn allein in dem Dienst-
rock!“ Alle die Forderungen, welche er einst im „Volksfreund“ vertreten,
kehrten darin wieder: er verlangte öffentliche Rechtspflege, unbeschränkte
Freiheit der Gemeinden, Verminderung des Beamtenheeres und dazu —
nach den neuesten Sätzen der national-ökonomischen Doktrin — Verkauf
der Domänen, Einführung einer einzigen direkten Steuer.
Ein wunderliches Gemisch von guten Gedanken und unreifen Einfällen,
enthielt die Adresse doch sicherlich nichts Strafbares; der Herrenstand aber
in und außerhalb der Kammer sah die Grundlagen seiner Macht gefährdet.
Sofort mußte das Gericht in Eßlingen eine Untersuchung gegen List be-
ginnen wegen Beleidigung der gesammten Staatsdienerschaft, und Maucler
muthete den Ständen zu, den Angeklagten kurzerhand aus dem Land-
tage auszuschließen, da nach der Verfassung kein Abgeordneter in eine
Criminal-Untersuchung verflochten sein dürfe. Vergeblich wies List nach,
daß er nur eines Vergehens, nicht eines Verbrechens bezichtigt sei; ver-
geblich warnten Uhland und einige seiner Freunde: bei solcher Auslegung
des Grundgesetzes könne die Regierung nach Belieben jedes mißliebige
Mitglied aus der Kammer entfernen. Die Mehrheit fügte sich willig
dem mit allem Aufwand sophistischer Künste unterstützten Ansinnen des
Ministers, sie verfuhr dabei mit der ganzen Parteilichkeit einer in ihrer
Herrschaft bedrohten Kaste; eine Adresse aus Heilbronn, die sich mit
reichsstädtischem Freimuth des Bedrängten annahm, wurde aus den Akten
entfernt unter stürmischen Zornreden wider Jacobinismus und Sans-
culotteri. Von dem Ausgestoßenen verlangten die Richter nunmehr,
daß er sich auch wegen der Rede, die er im Landtage zu seiner Verthei-
digung gehalten, rechtfertigen solle, und als er die Aufforderung zurück-
wies, bedrohten sie ihn mit den gesetzlichen Zwangsmaßregeln, die bei
andauernder Widerspänstigkeit bis zu fünfundzwanzig Stockstreichen an-
steigen konnten. Den erhebenden Anblick eines in den Bock gespannten
Volksvertreters wollte List dem Herrenstande doch nicht gewähren. Er
ließ sich verhören, wurde zur Festungshaft verurtheilt, nachdem das Ver-
fahren über ein Jahr gewährt hatte, und entzog sich sodann der Strafe
durch die Flucht.