Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

708 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit. 
da Rückert den Deutschen geweissagt hatte, hier in der alten Reichsstadt 
werde und müsse dereinst ein deutsches Fürstenschloß sich erheben! Dieser 
neue Prediger deutscher Freiheit schrieb aus Paris: „mich fröstelte nicht 
mehr unter Fischen, ich war nicht mehr in Deutschland!“ Er war nicht 
ganz ohne Sinn für die Größe seines Vaterlandes, in guten Stunden 
fühlte er wohl die Nichtigkeit der „koketten Gloire“, die Ueberlegenheit der 
deutschen Sprache, ja selbst der deutschen Gedankenfreiheit. Aber nach 
solchen Aufwallungen deutschen Gefühles fiel er stets wieder in jüdisch— 
französische Phrasen zurück, deren Bombast nur Victor Hugo übertroffen 
hat: „Paris ist der Telegraph der Vergangenheit, das Mikroskop der 
Gegenwart und das Fernrohr der Zukunft!“ Er ward nicht müde den 
deutschen „Stückmenschen“ das leuchtende Bild der französischen „Total- 
menschen“ vorzuhalten; ohne den lächerlichen Widerspruch zu bemerken 
empfahl er uns dann insbesondere die harte Einseitigkeit französischer Partei- 
gesinnung: „Der Franzose lobt und begünstigt Jeden, der auf seiner Seite, 
und tadelt und beschädigt Jeden, der ihm gegenübersteht; darum erreichen 
die Franzosen Alles, und wir bringen es zu nichts.“ Als er von der 
Vendomesäule auf Paris hinabschaute, meinte er: „Dieser Anblick würde 
einem Deutschen wohlthun, wenn es die Binse größer und stärker machte, 
daß der Sturm die Eiche niederwarf.“ Nur sieben Jahre nach dem 
zweiten Einzuge der deutschen Heere in Paris hatte er also schon ver- 
gessen, daß wir selber der Sturm waren, der die Eiche niederwarf. Die 
französische Eitelkeit gefiel sich schon längst in dem Wahne, die Ueber- 
macht der großen Nation sei nur durch eine räthselhafte Schicksalstücke, 
ohne Zuthun der Deutschen gebrochen worden; jetzt begannen die Sieger 
schon die Märchen der Geschlagenen gläubig nachzusprechen. 
Durch Börne's Bücher wurden die Blicke der deutschen Jugend wieder 
nach Paris gelenkt. Wie vormals die höfische Geselligkeit so lockte jetzt 
der parlamentarische Kampf nach der Seine. Bald ward es zur Regel, 
daß jeder junge radicale Schriftsteller eine Pilgerfahrt nach dem Mekka 
der Freiheit unternehmen mußte um sich den wahren politischen Glauben 
anzueignen. Auf Börne folgte Eduard Gans, ein ungleich schärferer poli- 
tischer Kopf, dem die Gebrechen des französischen Staatslebens nicht ent- 
gingen. Aber auch er ließ sich von dem theatralischen Lärm dieser Partei- 
kämpfe bezaubern: er meinte „den Herzschlag Frankreichs“ zu hören, als 
bei einem Preßprocesse die Beifallssalven des liberalen Publikums durch 
den Saal dröhnten; neben der politisch erregten Pariser Jugend erschien 
ihm die deutsche äußerlich und frivol. So ging es fort; immer wieder 
zogen deutsche Literaten über den Rhein, denen schon auf der Kehler Brücke 
das Herz höher zu schlagen begann; sie brachten sämmtlich schon den Vor- 
satz mit, alles Wälsche zu bewundern, und da sie nur Paris kennen lernten, 
und auch dort nur einen kleinen Kreis radicaler Journalisten, so versorgten 
sie die deutschen Zeitungen mit völlig falschen Berichten. Die preußischen
	        
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