710 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
dahin zusammen, dies Talent habe, begünstigt durch ein beispielloses Glück,
sechzig Jahre lang die Handschrift des Genies nachgeahmt ohne entdeckt
zu werden. Der beleidigenden Ruhe des Goethischen Stiles hielt er das
Beispiel Voltaire's entgegen: „Wie ganz anders Voltaire! Seine Eitelkeit
macht uns ihm gewogen. Wir freuen uns, daß ein Mann von so hohem
Geiste um unser Urtheil zittert, uns schmeichelt, zu gewinnen sucht!“
Das Gepolter war so sinnlos, daß man kaum noch wußte, was
eigentlich ernst gemeint sei, und eben hierin lag die Gefahr. Börne
blieb, derweil er alle Größen Deutschlands schmähte, auf seine Weise noch
ein Patriot. Die deutsche Jugend aber, die sich, wider die Natur, an
dieser jüdischen Selbstverhöhnung berauschte, verlor alle Ehrfurcht vor dem
Vaterlande, und so ward Börne's Wirksamkeit, obgleich sie aus den gege-
benen Zuständen mit einer gewissen Nothwendigkeit hervorging, durchaus
unheilvoll für das heranwachsende Geschlecht. Er tränkte die Jugend mit
Galle; einen neuen Gedanken wußte er ihr nicht zu bieten. Auch an
unserer Sprache hat er sich schwer versündigt. Zu Anfang des Jahr-
hunderts schrieben die Deutschen meistens gut, nur zuweilen etwas schwer-
fällig, da mancher die langen Perioden der classischen Sprachen von der
Schulbank mit ins Leben nahm. Börne aber hatte sich erst an Jcan
Paul's überladenem Stile, dann an französischen Mustern gebildet; das
feinere Sprachgefühl, das dem historischen Sinne verwandt ist, blieb ihm
versagt. Seine abstrakte journalistische Bildungssprache war brillant, picant,
elegant, Alles, nur nicht deutsch; sie konnte wohl zanken, doch nicht zürnen,
wohl stechen, doch nicht zerschmettern, sie spielte mit gesuchten Bildern und
wurde doch niemals sinnlich warm, ihr fehlte die Seele, die Macht der
Natur. „Die Geschichte zählt große Menschen, die sind Register der Ver-
gangenheit, so Goethe und Schiller; sie zählt wieder andere, die sind
Inhaltsverzeichniß der Zukunft: so Voltaire und Lessing.“ An solchen
Sätzen war alles undeutsch, die Gedanken, der Satzbau, die Wörter; aber
sie glitzerten und blendeten. Bald fanden sich betriebsame Nachahmer.
Die Journalisten wetteiferten miteinander in unsinnlichen Bildern, ver-
renkten Wörtern, überfeinen Anspielungen, sie verliebten sich in ihre eigene
Unnatur und freuten sich ihrer Künsteleien ebenso herzlich, wie einst Lohen-
stein und Hoffmannswaldau. Noch bei Goethe's Lebzeiten begann die deutsche
Sprache zu verwildern; nur die Männer der Wissenschaft und einige rein
gestimmte Dichterseelen widerstanden den Versuchungen der Ueberbildung.
In der deutschen Dichtung erweckten zwar die Griechenlieder des
großen radicalen Dichters der Epoche frühzeitig lauten Widerhall; der
Weltschmerz Lord Byron's hingegen, der Trotz des revolutionären Ich,
das sich bald grollend, bald verzweifelnd wider die Ordnung der Welt
auflehnte, fand in den zwanziger Jahren bei den Deutschen unter vielen
Bewunderern nur vereinzelte Nachahmer. Die romantische Ironie ge-
nügte noch dem Uebermuthe des Subjects, auch mochte mancher junge