Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

710 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit. 
dahin zusammen, dies Talent habe, begünstigt durch ein beispielloses Glück, 
sechzig Jahre lang die Handschrift des Genies nachgeahmt ohne entdeckt 
zu werden. Der beleidigenden Ruhe des Goethischen Stiles hielt er das 
Beispiel Voltaire's entgegen: „Wie ganz anders Voltaire! Seine Eitelkeit 
macht uns ihm gewogen. Wir freuen uns, daß ein Mann von so hohem 
Geiste um unser Urtheil zittert, uns schmeichelt, zu gewinnen sucht!“ 
Das Gepolter war so sinnlos, daß man kaum noch wußte, was 
eigentlich ernst gemeint sei, und eben hierin lag die Gefahr. Börne 
blieb, derweil er alle Größen Deutschlands schmähte, auf seine Weise noch 
ein Patriot. Die deutsche Jugend aber, die sich, wider die Natur, an 
dieser jüdischen Selbstverhöhnung berauschte, verlor alle Ehrfurcht vor dem 
Vaterlande, und so ward Börne's Wirksamkeit, obgleich sie aus den gege- 
benen Zuständen mit einer gewissen Nothwendigkeit hervorging, durchaus 
unheilvoll für das heranwachsende Geschlecht. Er tränkte die Jugend mit 
Galle; einen neuen Gedanken wußte er ihr nicht zu bieten. Auch an 
unserer Sprache hat er sich schwer versündigt. Zu Anfang des Jahr- 
hunderts schrieben die Deutschen meistens gut, nur zuweilen etwas schwer- 
fällig, da mancher die langen Perioden der classischen Sprachen von der 
Schulbank mit ins Leben nahm. Börne aber hatte sich erst an Jcan 
Paul's überladenem Stile, dann an französischen Mustern gebildet; das 
feinere Sprachgefühl, das dem historischen Sinne verwandt ist, blieb ihm 
versagt. Seine abstrakte journalistische Bildungssprache war brillant, picant, 
elegant, Alles, nur nicht deutsch; sie konnte wohl zanken, doch nicht zürnen, 
wohl stechen, doch nicht zerschmettern, sie spielte mit gesuchten Bildern und 
wurde doch niemals sinnlich warm, ihr fehlte die Seele, die Macht der 
Natur. „Die Geschichte zählt große Menschen, die sind Register der Ver- 
gangenheit, so Goethe und Schiller; sie zählt wieder andere, die sind 
Inhaltsverzeichniß der Zukunft: so Voltaire und Lessing.“ An solchen 
Sätzen war alles undeutsch, die Gedanken, der Satzbau, die Wörter; aber 
sie glitzerten und blendeten. Bald fanden sich betriebsame Nachahmer. 
Die Journalisten wetteiferten miteinander in unsinnlichen Bildern, ver- 
renkten Wörtern, überfeinen Anspielungen, sie verliebten sich in ihre eigene 
Unnatur und freuten sich ihrer Künsteleien ebenso herzlich, wie einst Lohen- 
stein und Hoffmannswaldau. Noch bei Goethe's Lebzeiten begann die deutsche 
Sprache zu verwildern; nur die Männer der Wissenschaft und einige rein 
gestimmte Dichterseelen widerstanden den Versuchungen der Ueberbildung. 
In der deutschen Dichtung erweckten zwar die Griechenlieder des 
großen radicalen Dichters der Epoche frühzeitig lauten Widerhall; der 
Weltschmerz Lord Byron's hingegen, der Trotz des revolutionären Ich, 
das sich bald grollend, bald verzweifelnd wider die Ordnung der Welt 
auflehnte, fand in den zwanziger Jahren bei den Deutschen unter vielen 
Bewunderern nur vereinzelte Nachahmer. Die romantische Ironie ge- 
nügte noch dem Uebermuthe des Subjects, auch mochte mancher junge
	        
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