Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Byron. 711 
Poet fühlen, daß der Byronische Weltschmerz keine Nachahmung zuließ. 
Neben den großen sittlichen Mächten, welche das historische Leben zu— 
sammenhalten, erscheint der Einzelne so klein, daß nur ein gottbegnadeter 
Dichter, der selber eine Welt im Herzen trug, sich ihnen entgegenstemmen 
durfte, ohne der Lächerlichkeit eitler Selbstbespiegelung zu verfallen. Byron 
hatte, so sagte sein Freund Shelley, die Schönheit nackt gesehen und wurde 
dann wie Aktäon von ihren Hunden zerrissen. In seinem schönsten und 
frechsten Werke, dem Don Juan, offenbarte sich neben einer Fülle frivolen 
Spottes eine so wunderbare Kenntniß der süßen Geheimnisse des Herzens, 
neben einem Radicalismus, der alles Heilige in Frage zu stellen schien, 
eine so lautere Begeisterung für echte Menschengröße, daß die Dichtung 
wohl unreife junge Köpfe verwirren konnte, aber alle tiefen und freien 
Geister bezaubern mußte. Ueber allen seinen Werken lag jener Zauber 
des eigenen Erlebnisses, dem die Dichtung ihre Macht verdankt. Er war 
was er schrieb; er durfte aller alten Ordnung den Frieden aufsagen, der 
kühne Heimathslose. Geächtet von der heuchlerischen Sitte seines Vater- 
landes, stand er ganz auf sich selbst allein und fand im Kampfe für die 
Freiheit der Völker einen glorreichen Tod. 
Mit allen seinen Sünden ein großer und wahrhaftiger Mensch, 
ragte er hoch empor über den deutschen Dichter, der zuerst versuchte unsere 
Poesie mit einem Hauche Byronischen Weltschmerzes zu erfüllen. Heinrich 
Heine war in Düsseldorf aufgewachsen, mitten in der Herrlichkeit der 
rheinischen Sagen und hatte sich, wie alle die jüngeren Romantiker, an 
den Liedern des Wunderhorns begeistert; doch er vermochte an diese 
Wunderwelt nicht so naiv zu glauben, wie der Schwärmer Eichendorff. 
Sein scharfer, in der Schule Hegel's durchgebildeter jüdischer Verstand 
und die frühreife cynische Welterfahrung, die er unter den sittenlosen 
Millionären Hamburgs angesammelt hatte, lehnten sich beständig auf 
wider die romantischen Träume. Aus diesen Widersprüchen kam er nie 
heraus. Von der menschlichen Größe unserer classischen Dichter besaß er 
nichts. Geistreich ohne Tiefe, witzig ohne Ueberzeugung, selbstisch, lüstern, 
verlogen und doch zuweilen unwiderstehlich liebenswürdig, war er auch als 
Dichter charakterlos und darum merkwürdig ungleich in seinem Schaffen. 
Er erlebte Augenblicke wahrer Begeisterung, wo die Muse seine Lippen 
weihte, wo er den Naturlaut starker Empfindung traf und mit be- 
wunderungswürdiger plastischer Kraft anschauliche Bilder gestaltete. Oft 
aber mißbrauchte er sein virtuoses Formtalent um seelenlos das An- 
empfundene nachzudichten. Noch öfter überwältigte ihn der Drang der 
Selbstverhöhnung also, daß er sich von der Höhe des idealen Gefühles 
plötzlich mit einem Bocksprunge in die Plattheit der Zote oder des schlechten 
Witzes hinabstürzte und den Lesern grinsend die Unwahrheit seiner eigenen 
Empfindung eingestand. 
An seinen Versen, die so leicht hingeworfen schienen, feilte er unab-
	        
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