136 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
gebührenden Zugeständnisse gemacht haben.“ Nur Börne bewährte sich
wieder als unersättlichen Radikalen und witzelte in seinen Pariser Briefen
über das Flittergold der hessischen Freiheit. Am Bundestage dagegen
war jedermann entrüstet über dies revolutionärste aller deutschen Grund—
gesetze und stimmte dem erbosten Blittersdorf zu, der schon beim Beginne
der kurhessischen Bewegung vorausgesagt hatte: unsere gefürchteten süd—
deutschen Verfassungen werden bald die illiberalsten in Deutschland sein!*)
Und doch sollte das vielgeprüfte Land kaum einige Tage lang seines
neuen Grundgesetzes froh werden. Am 8. Januar 1831 versammelte
sich der Landtag vor dem Throne. Der Kurfürst, der seinen Ingrimm
nur mühsam verbiß, übergab dem Erbmarschall die Verfassungsurkunde
und stammelte verlegen: ich wünsche Hessen Glück dazu; dann baten die
Stände in überströmender Untertänigkeit um die Erlaubnis, diesem
Fürsten, als dem zweiten Gründer des Landesglücks seit Philipp dem
Großmütigen, ein Standbild errichten zu dürfen. Tags darauf zogen
die Bürger mit Fackeln nach dem Schlosse, denn die geliebte Kur-
fürstin war soeben zurückgekehrt; und als nun der Landesvater mit
seiner Gemahlin am Arme auf dem Altane erschien, da jubelte alles,
mit der neuen Freiheit schien auch der häusliche Friede des Kurhauses
endlich gesichert. Doch leider hatte Wilhelm schon dafür gesorgt, daß jenes
würdige Gegenstück zu dem Standbilde des menschenverkaufenden pater
patriae nie zustande kam. Noch in derselben Nacht fuhr ein Wagen
Amschel Rothschilds auf Wilhelmshöhe vor, und ihm entstieg die Gräfin
Reichenbach. Augenblicklich schlug die Stimmung in Kassel um, und aber-
mals begann der „Krawall“ — so lautete der neue Ausdruck, der damals
zuerst in diesen mitteldeutschen Landstrichen aufkfam. Sie muß aus dem
Lande — hieß es überall; der Schutz des neuen Grundgesetzes sollte der
verhaßten Frau nicht zugute kommen, obgleich sie Hessin war, und die
Kurfürstin selber sich jetzt bereit erklärte, sie als Gesellschafterin und
Pflegerin ihres Gemahls neben sich zu dulden. Bei den Unruhen dieser
Januartage hatte der Adel, ganz wie in Braunschweig, unverkennbar die
Hände mit im Spiele; doch es bedurfte der Anstiftung kaum. Selbst
die Soldaten, die sonst trotz des gefährlichen doppelten Eides gute Manns-
zucht hielten, teilten den allgemeinen Abscheu und sagten laut: Schlagt
sie nur tot, wir lassen euch nicht im Stich! Nach drei Tagen wachsen-
der Aufregung sah sich die Gräfin gezwungen, Wilhelmshöhe zu verlassen.
Masaniello Herbold ritt selber hinaus, um nachzusehen, ob sie wirklich fort
sei. Wilhelm aber gebärdete sich wie ein Rasender; alle politischen Wünsche
hatte er seinem Völkchen erfüllt, und nun verwehrten ihm die Undank-
baren, seinen persönlichen Neigungen zu folgen. In den nächsten Tagen
mußte er noch, halb gezwungen durch drohende Schreiben der Bürger-
*) Blittersdorffs Bericht, 20. Okt. 1830.