140 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Diesen Ausgang der Wirren hatte niemand erwartet, niemand ge-
wünscht. Kurprinz Friedrich Wilhelm hieß im Volke längst der böse Junge.
Der Eintagsruhm, den er sich durch seine feige Nachgiebigkeit gegen die
Hanauer Mautstürmer erworben, war rasch wieder verflogen; man wußte,
wie dringend er dem Vater von der Verfassung abgeraten, wie frech und
lieblos er sich soeben erst in Fulda mit seiner Frau Lehmann gegen seine
Mutter betragen hatte. Wie unheilvoll hatte doch alles zusammengewirkt,
um diesen letzten Fürsten eines ruhmreichen Hauses einem schmählichen
Falle entgegenzuführen. Freudlos und freundlos war er aufgewachsen,
in ewigem Hader erst mit dem Vater, dann mit beiden Eltern, schlecht
erzogen, von Ränken umringt, vom Morde bedroht, ohne Kenntnisse,
kleinlich, gewöhnlich in allen seinen Neigungen. So ward er zum bos-
haften Menschenverächter; der seltsame, halb scheue, halb stiere Blick seiner
wasserblauen Augen verriet schon, daß er alle fürchtete, keinen ehrte,
jedem die schlechtesten Beweggründe unterschob. Ein höheres sittliches
Ideal als die formale Gesetzlichkeit blieb ihm unfaßbar. Schüchtern und
linkisch im Verkehre, kaum fähig einen längeren Satz zu Ende zu sprechen,
konnte er zuweilen in rasendem Jähzorn auffahren und dann verschlug
es ihm wenig, den Beamten Fußtritte zu versetzen, den Ministern selbst
brutale Schimpfworte, nach Umständen auch ein Tintenfaß an den Kopf
zu werfen. Seine Staatsweisheit lief auf das einfache: Ordre parieren
und nicht räsonnieren! hinaus; als Absolutist ohne Phrase liebte er weder
die Salbung der theologischen, noch die Romantik der feudalen Reaktions-
lehren.
Die Verfassung durfte er nicht brechen, schon weil er ihr allein die
Regentschaft verdankte und weil sein Vater jederzeit zurückkehren konnte; doch
er haßte sie wie einen persönlichen Feind, denn sie verkümmerte ihm sein
Familienleben, das einzige Glück, dessen er fähig war. Gertrud Lehmann
war jetzt seine rechtmäßige Gemahlin; er hatte sie vor kurzem, nachdem
ihre Ehe getrennt worden, insgeheim geheiratet und erhob sie — es war
die erste Tat seiner Regierung — zur Gräfin von Schaumburg. Wie
verschwenderisch hatten doch einst seine Vorfahren ihre Dirnen und Ba-
starde ausgestattet. Er aber konnte für seine Gattin und seine ehelichen
Kinder, die er auf seine Weise liebte, nur wenig tun; sein Einkommen
genügte, trotz der äußersten Sparsamkeit und trotz der Beihilfe Amschel
Rothschilds, kaum für die Kosten des Hofhalts, da sein Vater den Haus-
schatz für sich behielt, und an den Staatsgeldern durfte der konstitutionelle
Fürst sich nicht mehr vergreifen. Leider ward die Lage des Prinzregenten
auch durch die Schuld der Mutter verschlimmert. Wenn die Kurfürstin
sich entschloß, über das Vergangene hochherzig einen Schleier zu werfen,
wenn sie die Gemahlin ihres Sohnes, die nunmehr ein untadelhaftes Leben
führte und allen Staatsgeschäften fern blieb, als ihre rechtmäßige Schwieger-
tochter behandelte, so konnte vielleicht wieder ein geordnetes häusliches Leben