172 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
noch die Akten seines Prozesses zu veröffentlichen, sondern ließ sich ge—
duldig zur Festungsstrafe verurteilen, da er ja unleugbar seine Amts—
pflicht verletzt hatte.
Und doch wirkte Lornsens Schrift mächtig nach; sie ward wirklich,
wie die dänischen Beamten grollend sagten, eine in die Herzogtümer
geschleuderte Brandfackel, sie verbreitete den Gedanken der Selbständig—
keit des unteilbaren Schleswig-Holsteins in weiten Kreisen des Mittel—
standes, welche einst dem Kampfe des Adels um das alte Landesrecht
gleichgültig zugeschaut hatten. In wenigen Monaten erschienen dreißig
Flugschriften für und wider. Manche darunter ergingen sich nur in
philisterhaften Klagen über den bacchantischen Taumel der neuerungs—
süchtigen Zeit, über die taktlose, dem heißgeliebten Könige zugefügte Krän—
kung, und mahnten gemütlich: ein jeder lern' seine Lektion, so wird es
wohl im Lande stohn. Wit von Dörring, der Verräter der Burschen-
schaft, hatte sogar die Frechheit, seine holsteinischen Landsleute zu warnen
vor jenem „Deutschland, das niemals war, nirgends ist und niemals
sein wird“. A. Binzer aber, Lornsens sangeslustiger Freund von Jena
her, und der junge Historiker Michelsen gingen dem Dänen Schmidt-
Phiseldeck scharf zu Leibe und erklärten rund heraus: Schleswig-Holstein
verlange nicht die Unabhängigkeit wie Belgien, sondern eine selbständische
Stellung unter dem dänischen Königshause, wie sie Hannover neben Eng-
land oder Finnland neben Rußland einnehme. Der greise König, der
in seiner Angst dem Statthalter der Herzogtümer schon außerordentliche
Vollmachten zur Unterdrückung von Ruhestörungen erteilt hatte, er-
kannte nun doch, daß er einlenken müsse. Durch ein Gesetz vom 28. Mai
1831 verkündete er seine Absicht, in jedem der beiden Herzogtümer, ebenso
in Jütland und auf Seeland einen beratenden Provinziallandtag nach
preußischem Muster einzuführen. Weiter wollte er nicht gehen; vorsorg-
lich hatte er schon seinen oldenburgischen Nachbar durch die Höfe von
Berlin und Petersburg vor den Gefahren des reinen Repräsentativ-
systems warnen lassen.“)
Immerhin war nunmehr die erste Bresche geschlagen in das schranken-
lose Alleingewalt-Erbkönigtum des dänischen Königsgesetzes, und der un-
glückliche Lornsen, der jetzt von den Wällen der einsamen Feste Friedrichsort
auf die Gewässer der Kieler Föhrde hinausblickte, durfte sich sagen, daß
er den Dänen wie den Holsten die Bahn eines freieren Staatslebens
eröffnet hatte. Da das neue Gesetz die Unteilbarkeit Schleswig-Holsteins
zu bedrohen schien, so legte die Ritterschaft am 7. Juli förmliche Ver-
wahrung ein und erklärte dem Könige, das alte Landesrecht könne durch
diese bloß administrative Maßregel nicht berührt werden. Die Krone
ließ es an Beschwichtigungen nicht fehlen und berief im folgenden Jahre
*) Schölers Bericht, Petersburg 30. März 1831.