Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die Westmächte gegen die Sechs Artikel. 285 
der preußischen Monarchie. Der Schmuggel hörte auf, das verwahrloste 
Land erholte sich unter einer gerechten Verwaltung, und da die eine Ein— 
bruchsstelle der Koburger Sechser nunmehr geschlossen ward, so konnte 
der befruchtende Strom der falschen Münzen nur noch von Koburg aus 
in dünnerem Strahle über die Guldenländer hereinfluten. Die klein— 
fürstliche Souveränität hatte zum ersten Male ihren Bankbruch erklärt 
und eingestehen müssen, daß sie in bewegter Zeit nicht einmal die nächsten 
Pflichten jeder Staatsgewalt zu erfüllen vermochte. — 
Alles in allem war der Widerstand, dem die Sechs Artikel begegneten, 
überaus schwächlich, und wer den Dingen näher stand, konnte nicht ver— 
kennen, daß die entschiedene Opposition erst geringen Anhang besaß. 
Entmutigt zog sich in diesen Tagen der Jenenser Luden aus dem wei- 
marischen Landtage zurück, weil er eine Verwahrung gegen die Bundes- 
beschlüsse nicht durchzusetzen vermochte. Im Auslande aber erregten die 
lauten Weherufe der liberalen Presse den Eindruck, als ob Deutschland 
dem Bürgerkriege entgegentriebe. Im englischen Unterhause beantragte 
Henry Lytton Bulwer (2. August 1832), der König solle durch eine Adresse 
gebeten werden, beim Bundestage den neuen, Deutschlands Unabhängigkeit 
vernichtenden Beschlüssen entgegenzutreten. Der feurige Redner, ein ehr- 
licher Freund Deutschlands, fragte zornig, ob je eine solche Verletzung 
der heiligsten Versprechungen erhört worden sei? und dies in dem Ge- 
burtslande der Freiheit, in dem Lande Luthers, dem auch England seinen 
geläuterten Glauben verdanke, bei den Nachkommen der Männer, denen 
die Freiheit des Gedankens immer als Losungswort zum Siege gedient 
habe! Palmerston antwortete behutsam ausweichend, er pries nur in all- 
gemeinen Redensarten den beliebten Bund aller konstitutionellen Staaten 
und auf seine Bitte ward der Antrag als unzeitgemäß verworfen. Nach 
wenigen Tagen wurde der Lord jedoch andern Sinnes. Warum sollte er 
auch nicht versuchen, wieder einmal ohne Unkosten den hochherzigen Be- 
schützer der Völkerfreiheit zu spielen, durch treuherzigen Zuspruch die 
deutschen Höfe gegeneinander zu hetzen und also die erfreuliche Ver- 
wirrung auf dem Festlande noch zu steigern? Überdies hatte der russische 
Gesandte Lieven seine Freude über die Bundesbeschlüsse ausgesprochen, 
und der mißtrauische Brite schloß daraus sogleich, daß Zar Nikolaus bei 
den Sechs Artikeln mitgeholfen habe.“) 
Am 7. Septbr. richtete Palmerston an die Gesandtschaften in Deutsch- 
land eine Depesche, die für England als einen Mitunterzeichner der Wiener 
Verträge das Recht beanspruchte, in deutschen Bundesangelegenheiten mit- 
zureden. Leider entbehrte diese Anmaßung nicht eines scheinbaren Grun- 
des, da die elf ersten Artikel der Bundesakte allerdings in der Schluß- 
akte des Wiener Kongresses standen. Die liberalen Westmächte waren ja 
  
*) Brockhausens Bericht, 17. Aug. 1832.
	        
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