Kaspar Hauser. 363
seinem Hennenhofer traute man alles Böse zu, und so fand denn die neue
Legende lebhaften Anklang. Feuerbach selbst schenkte ihr Glauben und
sendete dem Münchener Hofe eine geheime Denkschrift, die seiner Kombi-
nationsgabe mehr zur Ehre gereichte, als seinem Verstande. König Ludwig
ließ sich ebensogern überzeugen, wie sein phantastischer Minister Fürst
Wallerstein; der romanhafte Reiz bestach ihn leicht, unwillkürlich mochte
auch sein alter Haß gegen die Zähringer mitspielen. Sogar seine Stief—
mutter Königin Karoline ließ eifrig nachforschen und scheint eine Zeitlang
an das Märchen geglaubt zu haben,“) obgleich sie selbst eine badische Prin—
zessin war und mit ihrem Stiefsohne selten übereinstimmte. Der badische
Hof war längst im Besitze von Aktenstücken, welche den natürlichen Tod
jenes jungen Erbprinzen unzweifelhaft erwiesen, und konnte durch eine
offene Erklärung das boshafte Geschwätz sofort ertöten; er hegte jedoch,
wie alle Höfe jener Zeit, eine fast krankhafte Scheu vor der Offentlich—
keit und mochte zudem fürchten, daß durch solche Enthüllungen auch andere,
besser beglaubigte Schmutzgeschichten aus den Zeiten der beiden letzten
Großherzoge zu Tage kommen würden. Genug, er schwieg, und nunmehr
verbreiteten sich die unheimlichen Gerüchte, die allem Anschein nach zuerst
in Bayern aufgetaucht waren, auch weithin über das badische Land. In
Karlsruhe, der klatschsüchtigsten aller deutschen Residenzen, erlebten die
Lästermäuler gute Tage; die verbitterten Liberalen hießen alles willkommen,
was den Fürsten Schande brachte; auch unter dem Breisgauer Adel, der
dem evangelischen Fürstenhause noch nicht recht traute, fanden sich viele
Gläubige.
Nunerdreistete sich der nichtsnutzige Demagog Garnier — der Rastatter
Ravaillac, wie er sich selber nannte — in einem albernen Schauerromane
die Leiden des lebendig begrabenen badischen Erbprinzen ausführlich zu
erzählen, und fortan stand die Fabel fest. Brandschriften der ultramontanen
und der radikalen Feinde des badischen Hauses schmückten das Märchen noch
reicher aus; die Hauser-Legende diente den Parteien des Umsturzes als ein
wirksames Mittel, um den Massen die Verderbnis der Höfe zu beweisen.
Unglaublich, wieviel Haß und Argwohn durch diese nachbarlichen Zänke-
reien in Süddeutschland gesät wurde. Als Feuerbach einige Monate vor
seinem Schützlinge starb, da behaupteten viele seiner Verehrer unerschütter-
lich, die Seelenmörder Kaspar Hausers hätten auch dessen mächtigen Gönner
vergiftet; und doch war allbekannt, daß der große Rechtsgelehrte, durch
Arbeit und Gemütsbewegungen früh gealtert, schon mehrere Schlaganfälle
erlitten hatte. Der Glaube an den badischen Prinzenraub blieb lange Zeit
so mächtig, daß die ernste Wissenschaft sich nicht gern mit der widerlichen
Frage befassen mochte; denn eine tief eingewurzelte Volksüberzeugung darf
*) Darauf deuten einige Bemerkungen in den oft erwähnten Aufzeichnungen ihres
Hofpredigers v. Schmitt.