Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Bedeutung des Zollvereins. 405 
Zollvereine beitreten solle. Preußen wies den Gedanken zurück, und auch 
späterhin, als das unreife Nationalgefühl deutscher Publizisten wiederholt 
für einen Handelsbund mit der Schweiz oder mit Holland sich erwärmte, 
wahrte Preußen unbeirrt den nationalen Charakter des Zollvereins. Also 
entstanden zwei Gemeinwesen im Deutschen Bunde: ein Deutschland des 
Scheines, das in Frankfurt, ein Deutschland der ehrlichen Arbeit, das in 
Berlin seinen Mittelpunkt fand. Der preußische Staat erfüllte, indem er 
Deutschlands Handelspolitik leitete, einen Teil der Pflichten, welche dem 
Deutschen Bunde oblagen, wie er zugleich allein durch sein Heer die 
Grenzen des Vaterlandes sicherte. So ist er durch redlichen Fleiß langsam 
emporgewachsen zur führenden Macht des Vaterlandes; und nur weil die 
europäische Welt es nicht der Mühe wert hielt, das Heerwesen und die 
Handelspolitik Preußens ernstlich kennen zu lernen, bemerkte sie nicht das 
stille Erstarken der Mitte des Festlandes. 
Die wirtschaftliche und die politische Einigung Deutschlands zeigen 
eine überraschende Verwandtschaft in ihrer Geschichte. Beide Bewegungen 
gleichen einem großen dialektischen Prozesse: erst nachdem durch wieder- 
holte vergebliche Versuche die Unmöglichkeit jeder anderen Form der Ein- 
heit zweifellos erwiesen war, errang die preußische Hegemonie den Sieg. 
Ein reiches Erbe monarchischer und im guten Sinne föderalistischer Über- 
lieferungen ist aus den Erfahrungen des Zollvereins übergegangen auf 
den Norddeutschen Bund und das Deutsche Reich. In dem Zollvereine 
lernte Preußen, einen vielköpfigen, fast formlosen Bund, der sich in keine 
Kategorie des Staatsrechts einfügen wollte, monarchisch zu leiten, mehr 
durch Einsicht und Wohlwollen und durch das natürliche Übergewicht der 
Macht als durch förmliches Vorrecht. Zwei grundverschiedene Schulen 
deutscher Staatsmänner wuchsen auf seit den dreißiger Jahren. Auf der 
einen Seite die Politiker des Bundestags, diese bejammernswerten Ge- 
schöpfe, denen die Erbsünde der Diplomatie, die Verwechslung von Ge- 
schäft und Klatscherei, zur anderen Natur geworden war, diese durch die 
kondensierte Milch der Augsburger Allgemeinen und der Frankfurter Ober- 
Postamts-Zeitung mühsam am Leben erhaltenen politischen Kinder, die 
mit so feierlichem Ernst von den Formen und Formeln des hohlen Bun- 
desrechts zu reden wußten. Und daneben die Geschäftsmänner des Zoll- 
vereins, nüchterne praktische Leute, gewohnt, ernsthafte Interessenfragen 
umsichtig zu erwägen, die Wünsche und Bedürfnisse der Nachbarn mit 
Gerechtigkeit und Milde zu beachten. Auf der hohen Schule der Zoll- 
konferenzen und der mannigfachen Beratungen über die Fragen des 
Verkehrs, lernten Preußens Staatsmänner die Methode neuer deutscher 
Politik: die Kunst, reizbare kleine Bundesgenossen ohne Gehässigkeit und 
Gewalttat zu leiten, unter bündischen Formen das Wesen der Monarchie 
zu wahren. 
Der Gedanke des Zollvereins war nicht eines Mannes Eigentum,
	        
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