Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

542 IV. 8. Stille Jahre. 
hohem Selbstgefühl, aber geringer Bildung und noch geringerem Ver— 
stande. Er hatte bei den Unruhen des Jahres 1833 mitgeholfen und trieb 
sich jetzt unter den deutschen Handwerkern in Paris umher. In seinem 
Buche „Preußen und das Preußentum“ (1839) erklärte er kurzab: „Der 
Antigeist der Freiheit hat Preußen geschaffen. Preußen wird untergehen, 
sobald das deutsche Volk erwacht. Alle Institutionen Preußens haben nur 
einen Zweck, den, unter dem Scheine des Volkswohls, der Aufklärung, des 
Fortschritts und der Freiheit, die Ausbeutung der Mehrzahl des Volks 
durch eine bevorzugte Minderzahl, Verdummung, Rückschritt, Knechtssinn 
und Knechtschaft zu begründen.“ Solchen Feinden gegenüber behielt der 
geistreiche alte Geheimrat K. Streckfuß freilich recht, als er in der Schrift 
„über die Garantien der preußischen Zustände“ mit dem ganzen Selbst- 
gefühle des preußischen Beamten ausführte: dieser Staat der Gerechtig- 
keit, der Bildung, der Ehrlichkeit und der kriegerischen Kraft brauche weder 
mit Frankreich noch mit England den Vergleich zu scheuen. Er irrte 
nur, wenn er zuversichtlich hinzufügte: „unsere Zustände sind durch sich 
selbst und ihren inneren Zusammenhang vollkommen gesichert.“ 
Unverkennbar nahte ein großer Umschwung langsam heran. Mit seiner 
letzten großen Tat, mit der Schöpfung des Zollvereins war die Lebens- 
kraft des alten Systems erschöpft. Es hielt sich nur noch, weil überall an 
zweiter Stelle ausgezeichnete Kräfte tätig waren; aber ihm fehlte die feste 
Leitung. Der König alterte sichtlich; was er noch an Tatkraft besaß, 
ging völlig auf in den peinlichen diplomatischen Händeln um die Erhal- 
tung des Weltfriedens. Seit dem Tode von Motz und Maassen saß im 
Ministerium niemand mehr, der den Namen eines Staatsmannes ver- 
diente. Die Leitung des Staatsrats erhielt nach dem Tode des Herzogs 
Karl General Müffling, der sein Amt ganz in dem hochkonservativen Sinne 
seines Vorgängers führte, aber wenig Einfluß gewann, da der Staatsrat 
seine alte Macht verloren hatte. Der neue Minister des Innern von Brenn 
hatte sich als sächsischer Beamter und dann als Regierungspräsident vor- 
trefflich bewährt; eigener Gedanken zeigte er so wenig, daß bald alle Par- 
teien ihn für einen unfähigen Minister erklärten.“) Die Polizei überließ 
er ganz dem berüchtigten Demagogenverfolger Geh. Rat Tzschoppe, und 
seitdem begann auch im Beamtentum selber ein widerwärtiges Spüren, 
das allen guten altpreußischen Sitten widersprach: mancher Subalterne 
suchte sich bei dem Minister lieb Kind zu machen, indem er die Gesin- 
nung seiner Vorgesetzten anschwärzte.“) In dem Eckhause der Charlotten- 
straße, wo Tzschoppe zwei Treppen hoch wohnte, fanden sich alle die 
schroffen Gegensätze des Berliner Lebens freundnachbarlich beisammen. 
Im Erdgeschosse arbeitete Gans bei offenem Fenster an seinem Stehpulte, 
*) Herzog Karl v. Mecklenburg an Wittgenstein, 8. Juli 1831. 
*.) Nach Kühnes Auf#zeichnungen. 
 
	        
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