632 IV. 8. Stille Jahre.
knappen Zwanzigstel der Staatseinkünfte. Ebenso bereitwillig genehmigte
der Landtag den außerordentlichen Aufwand für den Ludwigskanal, für
die prächtige Bibliothek und für die bayrische Zentralfestung Ingolstadt,
die dem patriotischen Wittelsbacher doch weit näher am Herzen lag als die
Befestigung des deutschen Oberrheins.
Einträchtig fanden sich Krone und Landtag zusammen, als das Nieder-
lassungsgesetz vom Jahre 1825 wieder zur Sprache kam.“) Die beschränkte
Freizügigkeit, welche dies Gesetz gewährte, hatte unter den Pfahlbürgern
des Landes viel böses Blut erregt; zahlreiche Petitionen dawider waren
eingelaufen. Die Kammer aber ahnte noch gar nichts von den drohenden
sozialen Gefahren der Zeit; roh und herzlos äußerte sich der Hochmut
der besitzenden Klassen „über das heillose Gesindel“ der Nichtbesitzenden.
Wie viel menschlicher und gerechter wurden diese Fragen zur selben Zeit
auf dem brandenburgischen Landtage behandelt; wie weit stand der Süden
in seiner volkswirtschaftlichen Bildung noch hinter dem Norden zurück.
Nach stürmischen Debatten kam ein neues Gesetz zustande, das für die
Niederlassung einen ziemlich hohen Zensus vorschrieb; außerdem erhielten
die Gemeinden noch ein „absolutes Veto“ gegen die Neuanziehenden, und
frohlockend rief ein Abgeordneter: diese scharfe Waffe denken wir kräftig zu
gebrauchen. Niemand fragte, was nun aus den vogelfreien Armen wer-
den sollte. Das Gesetz stand in offenbarem Widerspruche zu der Verkehrs-
freiheit des neubegründeten Zollvereins, aber es entsprach der vorherrschen-
den Stimmung des Volkes. Über ein neues Gewerbegesetz konnte man
sich noch nicht einigen; indessen half die Regierung durch Verordnungen
nach und unterband den freien Wettbewerb dermaßen, daß Bayerns Hand-
werke noch langehin weit hinter den norddeutschen zurückblieben.
Bei allen diesen Beratungen leistete die glatte, einschmeichelnde Be-
redsamkeit des neuen Ministers, des Fürsten Wallerstein, treffliche Dienste;
König Ludwig war entzückt von dem Vielgewandten und überhäufte ihn
mit Gnaden. Wallerstein pflegte seinen „Enthusiasmus für freie Institu-
tionen“ dann immer am feurigsten zu beteuern, wenn er eine illiberale
Maßregel verteidigte. Feurig, beredt, nie verlegen, überreich an Einfällen
und Plänen, ein feiner Kunstkenner und eifriger Förderer des Landbaus,
mußte der glänzende Kavalier, der so gern lebte und leben ließ, die Libe-
ralen wohl bezaubern, solange sie seine windige Eitelkeit noch nicht durch-
schauten. Sie bewunderten ihn, schon weil die Ultramontanen den leicht-
fertigen Freigeist haßten, und weil er eine Mißheirat geschlossen hatte —
ein Verdienst, das der adelsfeindliche Liberalismus jener Tage sehr hoch
anschlug. Den Lapidarstil bajuvarischer Selbstberäucherung handhabte er
fast so kühn, wie der König selbst. Wie prächtig klang es, wenn er sagte:
„Die athletenmäßig erwachte menschliche Intelligenz, bei augenblicklicher
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