Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

636 IV. 8. Stille Jahre. 
langt. Sobald er den Hirtenstab des heiligen Wilibald in Händen hielt, 
errichtete er sofort ein Knabenseminar — eine jener gemeinschädlichen, auf 
die Knechtung der kindlichen Gemüter berechneten Anstalten, welche bis— 
her noch in keinem der paritätischen deutschen Staaten Einlaß gefunden 
hatten. Wie hoch die Hoffnungen der Ultramontanen gestiegen waren, das 
erhellte am sichersten aus der gedämpften, fast diplomatischen Redeweise 
des alten Kämpen Görres, der jetzt außer einem phantastischen Buche über 
die christliche Mystik auch zahlreiche Flugschriften und Artikel in der kleri— 
kalen Zeitschrift „Eos“ veröffentlichte. Seinen Berserkerhaß ergoß er aus— 
schließlich auf die Liberalen; das Ministerium Wallerstein bekämpfte er als 
ein System des Juste-Milieu mit auffälliger Milde, und von der Person 
des Königs redete er stets im Tone der Ehrfurcht. Es war ersichtlich die 
Sprache einer Partei, die sich schon anschickte, die Herrschaft anzutreten. 
Zunächst blieben aber König Ludwigs Gedanken ganz in die Ferne 
gerichtet. Sein alter Traum, der Plan eines bayrisch-griechischen Staates, 
schien jetzt wirklich in Erfüllung zu gehen. Seit Griechenlands Unab— 
hängigkeit gesichert war (1827), hatte Kapodistrias, der Vertraute des Zaren 
Alexander, der einzige Hellene von europäischem Namen, die Leitung des 
jungen Staates übernommen; doch in den wüsten Parteikämpfen des gänz- 
lich verarmten und maßlos begehrlichen Volkes vermochte der wohlmeinende 
Kybernetes sich kaum zu halten. Die Kapitäne der alten Freiheitskämpfer 
erhoben sich wider ihn und fanden, da er sich auf Rußland zu stützen 
suchte, bei den Gesandten der Westmächte geheime Hilfe. Nun beschlossen 
die drei Schutzmächte (Febr. 1830), daß Griechenland einen selbständigen 
Staat unter einem Fürsten aus souveränem Hause bilden sollte. Aber der 
erwählte Thronkandidat Leopold von Koburg lehnte ab, bald darauf wurde 
Kapodistrias meuchlings ermordet (1831), und die scheußliche Anarchie, die 
nun hereinbrach, zeigte genugsam, was man an ihm verlor. Als nach 
Jahren die Leidenschaften sich beruhigten, gestanden die Hellenen selber, daß 
sie doch niemals einen besseren Herrscher gesehen hatten, als den vielver- 
leumdeten Baba Jannis. 
In dieser Zeit allgemeiner Verwirrung bereiste Friedrich Thiersch das 
Land. Als glühender Bewunderer der Hellenen war der liebenswürdige 
Gelehrte überall wohlgelitten, und er benutzte diese Volksgunst, um zu ver- 
wirklichen, was er seit Jahren geplant, und den Sohn des gekrönten Phil- 
hellenen, den Prinzen Otto von Bayern als König der Hellenen zu emp- 
fehlen. Der Vorschlag fand freundliche Aufnahme, König Ludwigs Zu- 
stimmung verstand sich von selbst, und da die Schutzmächte keinen anderen 
Rat wußten, so übertrugen sie am 7. Mai 1832 dem jungen Prinzen 
die Herrschergewalt, die ihm nachher durch den einstimmigen Beschluß der 
griechischen Nationalversammlung feierlich bestätigt wurde. König Ludwig 
schwamm in Freuden. Wieviel Geld und wieviel Lieder hatte er schon 
den Hellenen gespendet; wie oft, wenn er sein Land durchreiste, hatte er
	        
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