636 IV. 8. Stille Jahre.
langt. Sobald er den Hirtenstab des heiligen Wilibald in Händen hielt,
errichtete er sofort ein Knabenseminar — eine jener gemeinschädlichen, auf
die Knechtung der kindlichen Gemüter berechneten Anstalten, welche bis—
her noch in keinem der paritätischen deutschen Staaten Einlaß gefunden
hatten. Wie hoch die Hoffnungen der Ultramontanen gestiegen waren, das
erhellte am sichersten aus der gedämpften, fast diplomatischen Redeweise
des alten Kämpen Görres, der jetzt außer einem phantastischen Buche über
die christliche Mystik auch zahlreiche Flugschriften und Artikel in der kleri—
kalen Zeitschrift „Eos“ veröffentlichte. Seinen Berserkerhaß ergoß er aus—
schließlich auf die Liberalen; das Ministerium Wallerstein bekämpfte er als
ein System des Juste-Milieu mit auffälliger Milde, und von der Person
des Königs redete er stets im Tone der Ehrfurcht. Es war ersichtlich die
Sprache einer Partei, die sich schon anschickte, die Herrschaft anzutreten.
Zunächst blieben aber König Ludwigs Gedanken ganz in die Ferne
gerichtet. Sein alter Traum, der Plan eines bayrisch-griechischen Staates,
schien jetzt wirklich in Erfüllung zu gehen. Seit Griechenlands Unab—
hängigkeit gesichert war (1827), hatte Kapodistrias, der Vertraute des Zaren
Alexander, der einzige Hellene von europäischem Namen, die Leitung des
jungen Staates übernommen; doch in den wüsten Parteikämpfen des gänz-
lich verarmten und maßlos begehrlichen Volkes vermochte der wohlmeinende
Kybernetes sich kaum zu halten. Die Kapitäne der alten Freiheitskämpfer
erhoben sich wider ihn und fanden, da er sich auf Rußland zu stützen
suchte, bei den Gesandten der Westmächte geheime Hilfe. Nun beschlossen
die drei Schutzmächte (Febr. 1830), daß Griechenland einen selbständigen
Staat unter einem Fürsten aus souveränem Hause bilden sollte. Aber der
erwählte Thronkandidat Leopold von Koburg lehnte ab, bald darauf wurde
Kapodistrias meuchlings ermordet (1831), und die scheußliche Anarchie, die
nun hereinbrach, zeigte genugsam, was man an ihm verlor. Als nach
Jahren die Leidenschaften sich beruhigten, gestanden die Hellenen selber, daß
sie doch niemals einen besseren Herrscher gesehen hatten, als den vielver-
leumdeten Baba Jannis.
In dieser Zeit allgemeiner Verwirrung bereiste Friedrich Thiersch das
Land. Als glühender Bewunderer der Hellenen war der liebenswürdige
Gelehrte überall wohlgelitten, und er benutzte diese Volksgunst, um zu ver-
wirklichen, was er seit Jahren geplant, und den Sohn des gekrönten Phil-
hellenen, den Prinzen Otto von Bayern als König der Hellenen zu emp-
fehlen. Der Vorschlag fand freundliche Aufnahme, König Ludwigs Zu-
stimmung verstand sich von selbst, und da die Schutzmächte keinen anderen
Rat wußten, so übertrugen sie am 7. Mai 1832 dem jungen Prinzen
die Herrschergewalt, die ihm nachher durch den einstimmigen Beschluß der
griechischen Nationalversammlung feierlich bestätigt wurde. König Ludwig
schwamm in Freuden. Wieviel Geld und wieviel Lieder hatte er schon
den Hellenen gespendet; wie oft, wenn er sein Land durchreiste, hatte er