Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Das erste Patent. 651 
samte Verfassung über den Haufen zu werfen, schien ihm doch unmöglich; 
er brauchte Bedenkzeit, um die unbekannten Verhältnisse zu übersehen. Auch 
wußte er schon, daß eine neue Anleihe von 3 Mill. Tlr. bevorstand, und 
die Schuldverschreibungen ohne die Unterschrift der landständischen Kom— 
mission nichts galten. Darum wollte er, ohne die Verfassung selbst anzu— 
erkennen, dochden gegenwärtigen Landtag beibehalten und mit ihm späterhin 
über die notwendigen Änderungen gütlich verhandeln.“) Der Gedanke 
war eine staatsrechtliche Ungeheuerlichkeit; denn erkannte der Monarch das 
Staatsgrundgesetz nicht an, so konnte er auch die Landstände, die nur 
kraft dieses Gesetzes bestanden, nicht einberufen. Aber was vermochten 
juristische Gründe über den alten Reitersmann? Er meinte, in seinem 
Rechte zu sein, und sagte in gutem Glauben zu dem englischen Gesandten 
Lord William Russell, der aus Berlin herüberkam: ich beabsichtige einige 
Veränderungen, aber langsam und auf gesetzliche Weise.**) 
Am 3. Juli unterzeichnete er ein Patent, das den getreuen Untertanen 
zu wissen gab, der König halte das Staatsgrundgesetz nicht für bindend und 
in vielen Bestimmungen für ungenügend; er wolle daher prüfen lassen, inwie- 
fern Abänderungen nötig seien und dann seine Entschließung dem Landtage 
eröffnen. Daneben stand noch — offenbar als ein Zugeständnis an Scheles 
ursprüngliche Absicht — die vieldeutige Bestimmung: es solle auch erwogen 
werden, ob man nicht zu der glücklichen alten angeerbten Landesverfassung 
zurückkehren solle. Tags darauf wurde das Patent durch Schele den 
anderen Ministern vorgelegt. Diese beanstandeten einzelne Stellen und 
verlangten namentlich, daß ausdrücklich gesagt würde, der König beabsichtige 
nur verfassungsmäßige Anderungen. Ernst August erwiderte barsch: „ich 
fühle es Meine Würde nicht gemäß" darauf einzugehen, und die Minister 
unterwarfen sich. ) Sie nahmen es auch geduldig hin, daß ihnen ein 
nicht auf die Verfassung beeidigter Minister an die Seite gestellt wurde, 
und dieser allein dem Monarchen Vortrag hielt. Nachher (14. Juli) er- 
statteten sie auf Befehl des Königs noch ein Gutachten über die Ver- 
fassungsfrage und gelangten, wie sich von selbst verstand, zu dem Ergebnis, 
das Staatsgrundgesetz bestehe zu Recht, könne also auch nur auf ver- 
fassungsmäßige Weise abgeändert werden. k) Damit glaubten sie ihre Pflicht 
erfüllt zu haben. Ein vollendeter Verfassungsbruch lag ja noch nicht vor, 
und warum sollten sieauch, allen Grundsätzen kurhannöverscher Anständigkeit 
zuwider, ohne Not Ombrage erregen? Sie blieben behaglich im Amte 
  
*) Dies alles berichtete Schele der Jüngere im Auftrage Ernst Augusts an Boden- 
hausen, 18. Aug. 1837. 
**) Frankenbergs Berichte, Juli 1837. 
**#) K. Ernst August an Schele, 7. Juli; Schele an das Kabinettsministerium, 
7. Juli 1837. 
+) Gutachten des Staatsministeriums, 14. Juli 1837, gez.: Stralenheim, Alten 
Schulte, v. d. Wisch; gegengez.: Falcke.
	        
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