Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

652 IV. 9. Der welfische Staatsstreich. 
und beruhigten sich mit dem Troste, daß sie den Unzufriedenen kein böses 
Beispiel geben dürften. Nur Ompteda, der deutsche Minister in London, 
forderte seine Entlassung und erhielt sie in Gnaden, da sein Amt durch 
die Thronbesteigung von selbst hinwegfiel; für Männer seines Schlages 
war unter diesem Welfen kein Platz.*) 
Demnach erschien das Patent unverändert, und so viel ging aus den 
gewundenen Sätzen doch klar hervor, daß der König, ohne irgendeinen 
Grund anzugeben, die Verfassungsgesetze seiner Vorfahren kurzerhand für 
unverbindlich erklärte. Ward ihm dies gestattet, dann stand keine deutsche 
Verfassung mehr fest. Daher erhob sich sofort ein Sturm in der ge- 
samten deutschen Presse. Mit der einzigen Ausnahme der von Schele 
beeinflußten unsauberen Hannöverschen Landesblätter war alle Welt der- 
selben Meinung. Die Nation empfand es wie einen Faustschlag ins An- 
gesicht, daß dieser Fremdling sich erdreisten wollte, nach seinem Gutdünken 
zu entscheiden, ob in einem gesetzlich geordneten deutschen Lande die gegen- 
wärtige Verfassung bestehen sollte oder die ältere oder vielleicht auch eine 
dritte. Der Hamburger Wurm verdammte in einer scharfen Flugschrift 
die neue welfische Staatslehre; zahlreiche anonyme Büchlein und die allezeit 
behutsame Augsburger Allgemeine Zeitung redeten im gleichen Tone. Das 
stille Berlin sogar geriet in Bewegung: Gans lärmte auf dem Katheder, 
Dr. Friedenburg in der sonst so harmlosen Vossischen Zeitung; selbst das 
mit Schele befreundete Berliner Wochenblatt wagte nur „die männliche 
Offenheit“ des Welfen zu loben und die Hoffnung auszusprechen, daß die 
notwendigen Verfassungsveränderungen ohne Rechtsverletzung gelingen 
möchten. Die beste der Gegenschriften stammte aus der Feder des wackeren 
weimarischen Ministers von Gersdorff; leider wurde sie nur anonym, in 
25 Exemplaren gedruckt, so stark war schon die Furcht der kleinen Höfe 
vor dem brutalen Welfen.*) Sie war in ruhigem Geschäftsstile gehalten 
und zeigte unwiderleglich, daß der Bundestag einst, ohne nach der Zu- 
stimmung der Agnaten zu fragen, die Bürgschaft für die weimarische Ver- 
fassung übernommen, daß Hannover selbst am 15. Okt. 1830 bei den 
Frankfurter Verhandlungen über die braunschweigische Verfassung nach- 
drücklich erklärt hatte: eine in anerkannter Wirksamkeit bestehende Ver- 
fassung bedürfe nicht erst der Zustimmung des neuen Regenten, denn 
sonst hinge es nur von dessen Willkür ab, „geheiligte Rechte nach Gut- 
dünken zu vernichten“. 
Auch alle die Landtage, die gerade versammelt waren, regten sich 
sogleich, weil sie sich in ihrem eigenen Rechte bedroht sahen. In Karlsruhe 
verlangten Itzstein, Rotteck, Duttlinger, daß man am Bundestage Ein- 
  
*) Canitz' Berichte, 15. Okt., 9. Nov. 1837. 
**) „Ansicht des Verhältnisses der Erklärung S. Maj. des Königs von Hannover“ 
usw., Weimar 1837. Den Verfasser nennt, offenbar richtig, Münchhausen in seinem 
Berichte v. 16. Okt. 1837.
	        
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