XXIII. Stimmungen der württembergischen Opposition. 1838. 751
So scheiterten alle Versuche, einen besseren Zustand zu begründen, an der Furcht
vor dem Bunde . .. Ich weiß wohl, welche Einwendungen gegen die Grundsätze der
Opposition geltend gemacht werden.
Württemberg ist nach den Ansichten — selbst mancher Bessergesinnten zu unmächtig,
um sich dem Einflusse der absoluten Großstaaten beim Bunde widersetzen zu können.
Indem man aber unsere Regierung auf solche Art entschuldigt, bedenkt man auch,
daß man eben hiermit das Verdammungsurteil über die Kleinstaaten ausspricht? Denn
ein Staat, der mit dem besten Willen nicht imstande ist, dasjenige zu tun, was er
in seinen grundgesetzlichen Bestimmungen selbst für recht erklärt hat, kann vernünftiger-
weise keinen Anspruch auf Existenz machen.
Ich halte jedoch die obige Einwendung nicht für richtig.
Vielmehr glaube ich, daß weder Osterreich noch Preußen einschreiten würden, wenn
es einer der konstitutionellen Regierungen Deutschlands gefiele, nach den Vorschriften der
Verfassung zu regieren. Denn unter welchem Vorwande sollte eine Einschreitung statt-
finden? Sie wäre eine Gewalttat, deren Folgen sicherlich auf ihre Urheber zurückfallen
würden. Uberdies fürchten selbst die Großstaaten gegenwärtig nichts mehr, als die Ver-
anlassung zu einer möglichen Störung des Friedens.
Die Rückkehr zum Gesetze müßte aber, auch dann, wenn sie zunächst auch nur von
Einem Lande ausginge, auf alle übrigen Verfassungsländer günstig zurückwirken, weil
das gegebene Beispiel den Regierungen und Völkern die Möglichkeit eines geordneten
freisinnigen Rechtszustandes dartäte.
Ja selbst die in solcher Richtung laufenden Bestrebungen einer einzelnen Volks-
Kammer mußten sich am Ende eines siegreichen Erfolges erfreuen, sobald das Ziel nicht
nur von einer schwachen Minorität, sondern von einer imposanten Majorität mit Be-
harrlichkeit verfolgt würde. Hierzu sind nun freilich in Württemberg keine Aussichten
vorhanden und gerade diese traurige Gewißheit ist es, welche die Opposition bestimmt,
fruchtlose Versuche nicht wieder zu erneuern.
Zwar wird man ihr den Vorwurf machen,
„sie verlasse das Volk;“ —
man wird ihr zu bedenken geben,
„wenn sie auch nicht Gutes zustande bringen könne, so vermöge sie doch
Schlimmes zu verhindern;"
man wird sie darauf aufmerksam machen:
„ihre Worte seien nicht verloren; wenn sie auch nicht im Augenblicke
wirken, so werden sie doch seiner Zeit Früchte tragen;"
— und diejenigen, welche uns, solange wir zu wirken suchten, auf jede Art verdächtigten
und schmähten, werden sich an die Spitze der Tadler stellen; aber „die Wohlmeinenden
mögen bedenken, daß ohne Offentlichkeit nicht einmal eine moralische Wirksamkeit möglich
ist. Man wende mir nicht ein, die Sitzungen der Kammer der Abgeordneten seien
öffentlich. Denn wer partizipiert an dieser Offentlichkeit? Zehn oder fünfzig Zuhörer
und einige Zeitungsschreiber, deren Berichte aber teils wegen der Zensur, teils wegen
des eigenen Geschmacks der Berichterstatter so unvollkommen, so entstellt und wohl auch
so parteiisch sind, daß es in vielen Fällen besser wäre, wenn auf diesem Wege von den
Leistungen der Opposition gar nichts ins Publikum gelangte.
Will man aber falsch dargestellte Außerungen berichtigen, so tritt der Zensor ent-
gegen, sobald der Gegenstand der Berichtigung unter die verpönten Dinge gehört.
Somit bleiben von der gerühmten Offentlichkeit nur noch die Protokolle übrig.
Aber wer liest diese? Wem kann man zumuten, unter einer Masse von Spreu
die Körner zu sucheno
Der Sinn für das Offentliche hat sich nachgerade so abgestumpft, daß selbst das
Gedächtnis an die bessere Vergangenheit verschwunden ist. Man braucht sich daher nicht
mehr von einem lästigen Schamgefühle meistern zu lassen, sondern kann fortan der ur-