Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

XXIII. Stimmungen der württembergischen Opposition. 1838. 751 
So scheiterten alle Versuche, einen besseren Zustand zu begründen, an der Furcht 
vor dem Bunde . .. Ich weiß wohl, welche Einwendungen gegen die Grundsätze der 
Opposition geltend gemacht werden. 
Württemberg ist nach den Ansichten — selbst mancher Bessergesinnten zu unmächtig, 
um sich dem Einflusse der absoluten Großstaaten beim Bunde widersetzen zu können. 
Indem man aber unsere Regierung auf solche Art entschuldigt, bedenkt man auch, 
daß man eben hiermit das Verdammungsurteil über die Kleinstaaten ausspricht? Denn 
ein Staat, der mit dem besten Willen nicht imstande ist, dasjenige zu tun, was er 
in seinen grundgesetzlichen Bestimmungen selbst für recht erklärt hat, kann vernünftiger- 
weise keinen Anspruch auf Existenz machen. 
Ich halte jedoch die obige Einwendung nicht für richtig. 
Vielmehr glaube ich, daß weder Osterreich noch Preußen einschreiten würden, wenn 
es einer der konstitutionellen Regierungen Deutschlands gefiele, nach den Vorschriften der 
Verfassung zu regieren. Denn unter welchem Vorwande sollte eine Einschreitung statt- 
finden? Sie wäre eine Gewalttat, deren Folgen sicherlich auf ihre Urheber zurückfallen 
würden. Uberdies fürchten selbst die Großstaaten gegenwärtig nichts mehr, als die Ver- 
anlassung zu einer möglichen Störung des Friedens. 
Die Rückkehr zum Gesetze müßte aber, auch dann, wenn sie zunächst auch nur von 
Einem Lande ausginge, auf alle übrigen Verfassungsländer günstig zurückwirken, weil 
das gegebene Beispiel den Regierungen und Völkern die Möglichkeit eines geordneten 
freisinnigen Rechtszustandes dartäte. 
Ja selbst die in solcher Richtung laufenden Bestrebungen einer einzelnen Volks- 
Kammer mußten sich am Ende eines siegreichen Erfolges erfreuen, sobald das Ziel nicht 
nur von einer schwachen Minorität, sondern von einer imposanten Majorität mit Be- 
harrlichkeit verfolgt würde. Hierzu sind nun freilich in Württemberg keine Aussichten 
vorhanden und gerade diese traurige Gewißheit ist es, welche die Opposition bestimmt, 
fruchtlose Versuche nicht wieder zu erneuern. 
Zwar wird man ihr den Vorwurf machen, 
„sie verlasse das Volk;“ — 
man wird ihr zu bedenken geben, 
„wenn sie auch nicht Gutes zustande bringen könne, so vermöge sie doch 
Schlimmes zu verhindern;" 
man wird sie darauf aufmerksam machen: 
„ihre Worte seien nicht verloren; wenn sie auch nicht im Augenblicke 
wirken, so werden sie doch seiner Zeit Früchte tragen;" 
— und diejenigen, welche uns, solange wir zu wirken suchten, auf jede Art verdächtigten 
und schmähten, werden sich an die Spitze der Tadler stellen; aber „die Wohlmeinenden 
mögen bedenken, daß ohne Offentlichkeit nicht einmal eine moralische Wirksamkeit möglich 
ist. Man wende mir nicht ein, die Sitzungen der Kammer der Abgeordneten seien 
öffentlich. Denn wer partizipiert an dieser Offentlichkeit? Zehn oder fünfzig Zuhörer 
und einige Zeitungsschreiber, deren Berichte aber teils wegen der Zensur, teils wegen 
des eigenen Geschmacks der Berichterstatter so unvollkommen, so entstellt und wohl auch 
so parteiisch sind, daß es in vielen Fällen besser wäre, wenn auf diesem Wege von den 
Leistungen der Opposition gar nichts ins Publikum gelangte. 
Will man aber falsch dargestellte Außerungen berichtigen, so tritt der Zensor ent- 
gegen, sobald der Gegenstand der Berichtigung unter die verpönten Dinge gehört. 
Somit bleiben von der gerühmten Offentlichkeit nur noch die Protokolle übrig. 
Aber wer liest diese? Wem kann man zumuten, unter einer Masse von Spreu 
die Körner zu sucheno 
Der Sinn für das Offentliche hat sich nachgerade so abgestumpft, daß selbst das 
Gedächtnis an die bessere Vergangenheit verschwunden ist. Man braucht sich daher nicht 
mehr von einem lästigen Schamgefühle meistern zu lassen, sondern kann fortan der ur-
	        
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