Boyen. Kamnptz. 155
fest. Friedrich Wilhelm ließ sich zwar, wie sein Vater, in der Regel von
dem Kabinettsminister Vortrag halten, berief aber auch zuweilen kurzweg
einen oder mehrere der andern Minister oder erschien unerwartet im
Ministerrat; so überlastete er sich und fand schwer ein Ende.*) Um sich
gegen die unberechenbaren Einfälle des Monarchen zu decken, versammelte
Boyen häufiger, als er vordem pflegte, beratende Kommissionen, in deren
schwerfälligen Verhandlungen mancher gute Plan stecken blieb. Dergestalt
ward seine zweite Amtsführung, wenn auch nicht unfruchtbar, doch weit
weniger erfolgreich als die erste. Er empfand oft schmerzlich die Last
seiner Jahre, obgleich andere sich über seine jugendliche Frische verwunder-
ten, und in seinen Augen noch immer jene verdeckte Glut brannte, die
ihm einst den Namen des stillen Löwen verschafft hatte. Mehr als das
Alter hemmte ihn die Unsicherheit seiner Stellung; alle Ratgeber Fried-
rich Wilhelms überkam bald das drückende Gefühl, daß man in einer
unmöglichen Zeit lebte.
Auch im Justizministerium ward ein Personenwechsel unvermeidlich.
Schon gleich nach seiner Thronbesteigung (29. Juni 1840) hatte der König
einc dankenswerte Reform in der Rechtspflege herbeigeführt, indem er
erklärte, es widerstrebe seinem Gefühl, die Todesurteile förmlich zu be-
stätigen. Die Krone verzichtete also auf jede unmittelbare Ausübung ihrer
alten oberstrichterlichen Gewalt, sie begnügte sich fortan mit dem Rechte
der Begnadigung; wenn sie von diesem Rechte keinen Gebrauch machen
wollte, dann befahl sie einfach, der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen,
so daß die Unabhängigkeit der Gerichte jetzt auch in der Form streng ge-
wahrt wurde. Dieser ersten Reform sollten größere folgen, vornehmlich
eine Neugestaltung des Strafverfahrens. Wie hätte Friedrich Wilhelm
für solche Pläne den alten, ihm persönlich widerwärtigen Kamptz gebrauchen
können, der mit allem seinem Fleiße das Werk der Gesetzrevision kaum von
der Stelle gebracht hatte und, befangen in der toten Gelehrsamkeit seines
geliebten Reichskammergerichts, Offentlichkeit und Mündlichkeit als Re-
liquien aus den Kinderzeiten der Rechtspflege bemitleidete? Vor kurzem
erst, bei seinem Jubiläum waren dem Demagogenverfolger mannigfache Aus-
zeichnungen, sogar das Ehrenbürgerrecht der Hauptstadt zu teil geworden.
Er hielt sich für unentbehrlich, ging im Sommer 1841 wohlgemut nach
Gastein, dem Jungbrunnen der Greise, und wollte seinen Augen kaum
trauen, als ihm General Thile dorthin schrieb: bei seiner „Lebens= und
Geistesfülle“ bedürfe der König jüngerer Diener. Kamptz sträubte sich
noch heftiger denn vor drei Jahren, als man ihm die rheinische Justiz-
verwaltung nahm?#); flehentlich bat er den General, selbst zu beurteilen,
„ob ich jemals mit meinen Kräften zurückgeblieben bin“, und beschwor
*) Thile, Bericht über die Vereinfachung des Geschäftsganges, 15. Febr. 1842.
* ) S. o. IV. 551.