256 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
besitzes sträubten sich die Rheinländer aufs äußerste.“) „Die rheinischen
ritterbürtigen Autonomen“, wie man sie spottend nannte, bildeten nun—
mehr eine Adelsgenossenschaft, welche die Streitigkeiten ihrer Genossen
durch ein Standesgericht entschied und für ihre Söhne eine Ritteraka—
demie in Bedburg gründete. Obwohl die Führer, Freiherr v. Mirbach
und Graf Spee wegen ihrer gemeinnützigen Tätigkeit allgemein geachtet
waren, so zeigten sich in dem geschlossenen Adelsvereine doch bald sehr
unerfreuliche Gesinnungen: Kastenstolz, klerikaler Übereifer und ein rhei-
nischer Partikularismus, der, allem preußischen Wesen feind, beständig
nach dem geliebten Erzhause hinüberschielte. Als Mirbach dem Könige
vorstellte: der Adel dürfe nicht aufgehen in dem Stande der Ritterguts-
besitzer, weil er mit der Krone das Geburtsrecht gemein habe und darum
sie stütze — da erschrak selbst Thile und mahnte besorgt: die Edelleute
würden gut tun, wenn sie auch die Söhne anderer Grundherren in ihre
Ritterakademie aufnähmen.) So kam es, daß der rheinische Provin-
ziallandtag sich sofort sehr lebhaft wider die Sonderrechte der Ritterbürtigen
erklärte; einer der besten rheinischen Juristen, Frhr. v. Mylius, selber ein
alter Edelmann, stand voran im Kampfe für die Rechtsgleichheit. Die
Aufregung im rheinischen Bürgertum hielt an, ein volles Jahrzehnt
hindurch; sie wurde so stark, daß selbst der alte Arndt und ein junger
Bonner Jurist von ebenso gemäßigter liberaler Gesinnung, H. Hälschner sich
in streitbaren Flugschriften wider die ritterbürtigen Autonomen wendeten.
Solche Erfahrungen mußten dem Könige zeigen, wie viel sozialen
Unfrieden ein Adelsgesetz aufwühlen konnte. Und war denn die ersehnte
Adelsreform wirklich so unerläßlich? Hinter dem Glanze und dem
Reichtum der englischen Aristokratie blieben die kleinen landsässigen Ge-
schlechter der alten Provinzen Preußens freilich unendlich weit zurück;
aber so gewiß die Kraft des Adels in seiner politischen Tätigkeit liegt,
ebenso gewiß brauchten sie, als ein monarchischer Adel, den Vergleich mit
Englands parlamentarischem Adel nicht zu scheuen. Neben der Krone
bedeuteten sie wenig, doch in ihrem Dienste hatten sie mitgewirkt an dem
Heldentum einer großen Geschichte; sie bildeten noch immer den Kern
des Offizierskorps, behaupteten sich durch eigenes Verdienst in den Reihen
des Beamtentums, trugen in vielen Landesteilen die schwersten Pflichten
der ländlichen Selbstverwaltung und ergänzten sich zumeist aus bürgerlichen,
im Staatsdienste heraufgekommenen Familien, ganz so wie einst die alten
Ministerialien selbst über die Gemeinfreien emporgestiegen waren. Bunt
gemischt wie er war aus altem Grundadel, neuem Dienstadel und zahl-
reichen schlechten Elementen durfte ein solcher Stand doch verlangen, daß die
Krone ihm seine Traditionen nicht zerstörte, und zu diesen zählte der alte
*) S. o. II. 274.
**) Mirbach an Thile, 24. April; Antwort 3. Juli 1845.