Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Ministerium Blittersdorff. Rottecks Tod. 327 
Als Anhänger Österreichs und geschworener Feind Preußens stand 
Minister Blittersdorff den ultramontanen Bestrebungen nahe, wie er denn 
auch mit Abel immer vertrauten Verkehr unterhielt. Für seine nächsten 
Zwecke aber bedurfte er anderer Machtmittel. Er hoffte durch rücksichts— 
losen Gebrauch seiner bureaukratischen Amtsgewalt wiederherzustellen, was 
er das monarchische System nannte, das Beamtentum zu schweigendem 
Gehorsam zu zwingen und die Opposition im Landtage zu vernichten. 
„Ich werde es“, sagte er kurzab, „so weit treiben, als ich vermag.“ Weder 
der Großherzog noch die übrigen Minister schenkten dem Hoffärtigen volles 
Vertrauen; doch seine dreiste Zuversicht schüchterte sie ein, und nach der 
korrekten Wiener Doktrin war jeder deutsche Hof dem Bunde für das 
Wohlverhalten seiner Kammern verantwortlich, der Minister des Aus— 
wärtigen also befugt, die gesamte Haltung der Regierung zu beaufsichtigen. 
Gehässig, mit einem junkerhaften Übermut, der von Winters bürger- 
licher Gemütlichkeit widerlich abstach, trat Blittersdorff den Abgeordneten 
entgegen und verhehlte ihnen nicht, daß er, gewöhnt an die erhabenen 
Geschäfte des Bundestages, die badischen Kammerhändel als armselige 
Kleinmeisterei verachtete. Dies kränkte am tiefsten; denn nirgends in 
Deutschland war die Verfassung so fest mit dem Volke verwachsen, nirgends 
das Selbstgefühl der Abgeordneten so überkräftig. Da das Beamtentum 
und die Landstände im Drange der Volksbeglückung miteinander wett- 
eiferten, so wurden hier die Landtage sehr häufig, fast alljährlich einberufen 
und währten sehr lange; das Wahlrecht war wenig beschränkt, selbst die 
Masse des Volks verfolgte die Verhandlungen mit Spannung. Nach den 
Debatten über die Gründung des Zollvereins verkaufte man auf den 
Jahrmärkten des Schwarzwalds Pfeifenköpfe, worauf die Abstimmungen 
der Volksvertreter verzeichnet standen. Rottecks Hinscheiden wurde land- 
auf landab als ein nationales Unglück beklagt; die liberalen Zeitungen 
nannten ihn einmütig den ersten Volksmann des Jahrhunderts, auf 
seinem Grabsteine prangten die Schillerschen Verse: „Er ist hin, und 
alle Lust des Lebens wimmert hin in ein verlornes Ach!“ Maßlos wie 
die Bewunderung der Getreuen zeigte sich auch der Haß der Gegner. Als 
die Oberländer ihrem tapferen Landsmann ein Standbild errichten wollten, 
verbot König Ludwig von Bayern seinem Schwanthaler die Ausführung 
des Kunstwerks, weil „Rotteck nichtein Ehrendenkmal, sondern eine Schand- 
säule verdient“ hätte. Also ward durch Freund und Feind die von Welcker 
verkündigte „große badische Idee“ genährt, die Vorstellung, daß hier am 
Oberrhein der liberale Musterstaat Deutschlands bestände. 
Der Stolz dieser Volksvertretung, die wirklich auf der Höhe der 
Weltgeschichte zu stehen glaubte, schien der Regierung schon darum uner- 
träglich, weil fast die Hälfte der zweiten Kammer aus Staatsdienern be- 
stand und das ohnehin sehr unabhängig gestellte Beamtentum leicht dahin 
gelangen konnte, sich durch parlamentarischen Druck seine eigenen Vor-
	        
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