Ministerium Blittersdorff. Rottecks Tod. 327
Als Anhänger Österreichs und geschworener Feind Preußens stand
Minister Blittersdorff den ultramontanen Bestrebungen nahe, wie er denn
auch mit Abel immer vertrauten Verkehr unterhielt. Für seine nächsten
Zwecke aber bedurfte er anderer Machtmittel. Er hoffte durch rücksichts—
losen Gebrauch seiner bureaukratischen Amtsgewalt wiederherzustellen, was
er das monarchische System nannte, das Beamtentum zu schweigendem
Gehorsam zu zwingen und die Opposition im Landtage zu vernichten.
„Ich werde es“, sagte er kurzab, „so weit treiben, als ich vermag.“ Weder
der Großherzog noch die übrigen Minister schenkten dem Hoffärtigen volles
Vertrauen; doch seine dreiste Zuversicht schüchterte sie ein, und nach der
korrekten Wiener Doktrin war jeder deutsche Hof dem Bunde für das
Wohlverhalten seiner Kammern verantwortlich, der Minister des Aus—
wärtigen also befugt, die gesamte Haltung der Regierung zu beaufsichtigen.
Gehässig, mit einem junkerhaften Übermut, der von Winters bürger-
licher Gemütlichkeit widerlich abstach, trat Blittersdorff den Abgeordneten
entgegen und verhehlte ihnen nicht, daß er, gewöhnt an die erhabenen
Geschäfte des Bundestages, die badischen Kammerhändel als armselige
Kleinmeisterei verachtete. Dies kränkte am tiefsten; denn nirgends in
Deutschland war die Verfassung so fest mit dem Volke verwachsen, nirgends
das Selbstgefühl der Abgeordneten so überkräftig. Da das Beamtentum
und die Landstände im Drange der Volksbeglückung miteinander wett-
eiferten, so wurden hier die Landtage sehr häufig, fast alljährlich einberufen
und währten sehr lange; das Wahlrecht war wenig beschränkt, selbst die
Masse des Volks verfolgte die Verhandlungen mit Spannung. Nach den
Debatten über die Gründung des Zollvereins verkaufte man auf den
Jahrmärkten des Schwarzwalds Pfeifenköpfe, worauf die Abstimmungen
der Volksvertreter verzeichnet standen. Rottecks Hinscheiden wurde land-
auf landab als ein nationales Unglück beklagt; die liberalen Zeitungen
nannten ihn einmütig den ersten Volksmann des Jahrhunderts, auf
seinem Grabsteine prangten die Schillerschen Verse: „Er ist hin, und
alle Lust des Lebens wimmert hin in ein verlornes Ach!“ Maßlos wie
die Bewunderung der Getreuen zeigte sich auch der Haß der Gegner. Als
die Oberländer ihrem tapferen Landsmann ein Standbild errichten wollten,
verbot König Ludwig von Bayern seinem Schwanthaler die Ausführung
des Kunstwerks, weil „Rotteck nichtein Ehrendenkmal, sondern eine Schand-
säule verdient“ hätte. Also ward durch Freund und Feind die von Welcker
verkündigte „große badische Idee“ genährt, die Vorstellung, daß hier am
Oberrhein der liberale Musterstaat Deutschlands bestände.
Der Stolz dieser Volksvertretung, die wirklich auf der Höhe der
Weltgeschichte zu stehen glaubte, schien der Regierung schon darum uner-
träglich, weil fast die Hälfte der zweiten Kammer aus Staatsdienern be-
stand und das ohnehin sehr unabhängig gestellte Beamtentum leicht dahin
gelangen konnte, sich durch parlamentarischen Druck seine eigenen Vor-